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View of Die Inszenierung von Übersetzung als Pseudo-Übersetzung in Hans-Ulrich Möhrings "Vom Schweigen meines Übersetzers"

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Texte intégral

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Abstrakt

Das 2008 erschienene Buch Vom Schweigen meines Übersetzers setzt einen fort- laufenden Dialog bzw. Nicht-Dialog zwischen einem fiktiven Autor und seinem deutschen Übersetzer in Szene und problematisiert dabei unter Verweis auf die un- terschiedlichen Position der Übersetzunsgwissenschaft und mit Hilfe der zentralen Metaphern Spiegel, Fluss und Rhythmus die Vorstellung von einem Original oder gar von einer Originalsprache. Der reale Autor dieses Textes, Hans-Ulrich Möhring, ist Übersetzer aus dem Englischen. Vieles in diesem Buch lässt sich mit Fakten seiner Biographie abgleichen. Der dialogische Aufbau des Textes kann als Mittel zur Sel- bstverständigung des Autors gelesen werden, aber auch als der nie abzuschließende Versuch, einer reinen, allen Übersetzungen zugrunde liegenden Sprache näherzu- kommen.

Abstract

The 2008 book Vom Schweigen meines Übersetzers takes its main driving element from the ongoing fictional dialogue (or lack thereof) between a fictitious author and his German translator. Refering to a large array of translation theories, this dia- logue renders the idea of an original text or even a source language more and more problematic. To this end, the text uses a number of key metaphors – mirror image, stream and rhythm. The text’s real-life author, Hans-Ulrich Möhring, has translated a great variety of texts from English. Many of the events reported in his book can be traced back to his own biography. It can therefore be read as a means to reflect on his own practice in the form of a dialogue, but also as an ongoing attempt to obtain a pure language prior to any form of translation.

Jan C

euppens

Das unerhörte Eigene

Die Inszenierung von Übersetzung als Pseudo-Übersetzung in Hans-Ulrich Möhrings Vom Schweigen meines Übersetzers

Empfohlene zitierweise:

Jan Ceuppens, Das unerhörte Eigene. Die Inszenierung von Übersetzung als Pseudo- Übersetzung in Hans-Ulrich Möhrings Vom Scheweigen meines Übersetzers“, in: Interférences littéraires/Literaire interferenties, 19, „Pseudo-traduction. Enjeux métafictionnels/Pseu-

http://www.interferenceslitteraires.be ISSN : 2031 - 2790

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Geneviève Fabry (UCL) Agnès Guiderdoni (UCL) Ortwin de GraeF (ku Leuven) Jan Herman (KU Leuven) Guido LaTré (UCL) Nadia Lie (KU Leuven) Michel Lisse (FNRS – UCL)

Anneleen masscHeLein (KU Leuven) Christophe meurée (AML)

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Olivier ammour-mayeur (Université Sorbonne Nouvelle -–

Paris III & Université Toulouse II – Le Mirail) Ingo berensmeyer (Universität Giessen)

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Matthieu serGier (UCL & Université Saint-Louis - Bruxelles )

Laurence Van nuijs (KU Leuven)

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Interférences littéraires/Literaire interferenties, 19, November 2016

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Die Inszenierung von Übersetzung als Pseudo-Übersetzung in Hans-Ulrich Möhrings Vom Schweigen meines Übersetzers

Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, den Erkenntnisgewinn des Konzepts der Pseudo-Übersetzung für einen zeitgenössischen Text zu ermessen, der nur auf- grund der fiktionsinternen Logik als Übersetzung zu verstehen ist.1 Es geht in die- sem Fall also keineswegs darum, den Leser oder eine andere textexterne Instanz über den wahren Sachverhalt hinters Licht zu führen, wie es etwa Gideon Toury anhand von solchen Texten wie Arno Holz’ und Johannes Schlafs Papa Hamlet (1889) oder Joseph Smiths The Book of Mormon (1830) beschreibt.2 Die Pseudo-Übersetzungen ermöglichten bei diesen Texten eine Verschleierung ihrer wahren Urheberschaft bzw. ih- res wahren Ursprungs und konnten so in der Zielkultur unliebsame oder tabuisierte Inhalte und ungewohnte Schreibverfahren unter dem Deckmantel fremder Her- kunft verbreiten helfen. Die Fremdzuschreibung eines Textes konnte aber auch das Renommee eines anderssprachigen Autors ausnutzen – wobei der unter dem Na- men Walter Scott verkaufte Roman Walladmor von Willibald Alexis (1824) das Pa- radebeispiel in der deutschsprachigen Literatur darstellt – bzw. aus einer angeblich externen Perspektive Kritik an der Zielkultur oder deren politischem System üben.

Aus literaturtheoretischer Perspektive ist das Konzept der Pseudo-Übersetzung in all diesen Fällen ein brauchbares Instrument für die Beschreibung eines literarischen Systems und seiner Interaktion mit anderen Polysystemen; eine Perspektive, die aber vor allem auf historisch weiter zurückliegende Epochen anwendbar erscheint.

Bei zeitgenössischen Texten in offenen literarischen Systemen dürfte der Sta- tus der Pseudo-Übersetzung in den allermeisten Fällen eher Gegenstand eines bewuss- ten Pakts mit dem Leser als ein Akt der Mystifizierung sein: Der Leser hat bei- spielsweise die fiktionsinterne Identifizierung eines Erzählers als Angehörigen einer anderen Sprachgemeinschaft in einer Art „willing suspension of disbelief“ hinzunehmen, obwohl die Sprache sozusagen nicht zum Sprecher passt. Inwiefern der Leser den betreffenden Text in einem solchen Fall dann aber wirklich als Übersetzung liest bzw. ob er überhaupt noch einen Unterschied zwischen Original, Übersetzung und Pseudo-Übersetzung macht, ist fraglich. Wie es Isabelle Collombat ausdrückt: „le lecteur ordinaire qui aurait négligé le paratexte ne se posera même pas la question

1. Der Begriff Pseudo-Übersetzung ist hier in dem weiten Sinne zu verstehen, in dem ihn Yves Gambier benutzt hat: Als Originaltext, der sich aber als Übersetzung darstellt. Yves Gambier,

„La retraduction: retour et détour“, in: Meta : journal des traducteurs / Meta : Translators’ Journal, 1994, 39, 3, 417. S. auch die darauf aufbauenden Überlegungen von Isabelle Collombat, nach denen in einer Pseudo-Übersetzung eine fiktive Sprachhandlung (die in einem Paratext explizit gemacht sein kann) die fiktive Diegese noch einmal überlagert. Isabelle coLLombaT, „Pseudo-traduction: la mise en scène de l’altérité“, in: Le langage et l’homme, 2003, 38, 1, 146.

2. Gideon Toury, „Enhancing Cultural Changes by Means of Fictitious Translations“, in:

Eva Hung (Hrsg.), Translation and Cultural Change. Studies in History, Norms and Image-projection, Amster- dam/Philadelphia, John Benjamins, 2005, 3-18.

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de savoir s’il lit une traduction ou un texte original“.3 Möglicherweise ist die Wir- kung dann „de donner la parole au texte et à lui seul, en tentant de faire oublier le trop omniprésent auteur“.4 Geht man von neueren, rein deskriptiven Ansätzen der Übersetzungswissenschaft aus, ist die Frage nach dem Textstatus vielleicht sogar irrelevant. Zu den Gemeinplätzen der übersetzungstheoretischen Diskussion gehört ja sowohl die These, dass Übersetzungen als eigenständige Kunstwerke und daher losgelöst von ihren Ausgangstexten zu würdigen sind, wie auch das oft gleichzeitig aufgestellte Diktum, dass im Grunde jeder Text eine Übersetzung ist. Letzteres läuft allerdings entweder auf eine Metaphorisierung des Übersetzungsbegriffs hinaus – „übersetzen“ wäre dann ein Synonym für „versprachlichen“ – oder auf einen erweiterten Intertextualitätsbegriff, nach dem jeder Text eine Fortschreibung früherer Texte wäre und somit Teil eines unabschließbaren Prozesses.5

Diese beiden Aspekte der Übersetzung – die auf eine Ununterscheidbarkeit zwischen ‚Original‘ und ‚Übersetzung‘ hinauslaufen – kommen explizit zur Sprache in Hans-Ulrich Möhrings Vom Schweigen meines Übersetzers, das nicht nur eine Pseudo-Über- setzung, sondern eine ausführliche Reflexion über das Übersetzen ist und somit doch einen etwas informierteren Leser voraussetzt als den von Collombat beschrie- benen.6 Dabei baut der Text auf einer ganzen Reihe von klassischen Sprach- und Übersetzungskonzepten – Herder, Humboldt, Goethe und Rückert – auf, stößt sich aber vor allem an dem zentralen Text deutscher Übersetzungstheorie des 20. Jahr- hunderts, Walter Benjamins Die Aufgabe des Übersetzers. Auch wenn Benjamins Essay nur einige Male nebenbei und keineswegs bedingungslos zustimmend erwähnt wird (SMÜ 114, 182), finden sich in ihm doch viele der Motive, die hier zu erörtern sind.

Die genannten Paradoxien (des Originals als Übersetzung und der Übersetzung als Originals) werden trotz der anfänglichen Insistenz auf ihren qualitativen Unter- schied als mögliche Konsequenzen auch bei Benjamin mit bedacht.7 Außerdem geht es in diesem Prä- oder Subtext durchgängig um eine Funktion der Übersetzung, die gerade bei Pseudo-Übersetzungen ins Spiel kommt: Die Verkehrung und Ver- schränkung von Fremdem und Eigenem. Dieses Wechselspiel betrifft bei Benjamin in erster Linie Ausgangs- und Zieltext oder – grundsätzlicher – Ausgangs- und Zielsprache.

Wie Brigitte Rath herausgearbeitet hat, erfüllen Pseudo-Übersetzungen in diesem Zusammenhang „sowohl das Begehren nach sprachlichem Universalismus […] wie auch einen Wunsch nach sprachlicher Relativität und Differenz, nach einer ganz anderen Sprache – die aber dennoch verstehbar ist“.8 Ebenso aber ist die genannte

3. Isabelle coLLombaT, „Pseudo-traduction“, 149.

4. Ibidem.

5. Diese beiden Perspektiven auf die Pseudo-Übersetzung werden von Lieven D’Hulst einer- seits der Translationswissenschaft, andererseits der Literaturwissenschaft zugeschrieben; vgl. Lieven d’HuLsT, „Postface. Questions de frontière, entre traduction et pseudo-traduction“, in: David mar-

Tens und Beatrijs Vanacker (Hrsg.), Scénographies de la pseudo-traduction. Les lettres romanes 67 (2013), 3-4, 497-504.

6. Hans-Ulrich möHrinG, Vom Schweigen meines Übersetzers. Eine Fiktion, München, Fahrenheit, 2008. Im Folgenden sigliert als SMÜ mit Seitenangabe.

7. Die von Benjamin zu Anfang apodiktisch aufgestellte Unterscheidung: „[…] kein Gedicht gilt dem Leser, kein Bild dem Beschauer, keine Symphonie der Hörerschaft. Gilt eine Übersetzung den Lesern, die das Original nicht verstehen? Das scheint hinreichend den Rangunterschied im Be- reiche der Kunst zwischen beiden zu erklären.“ lässt sich im Nachhinein nicht mehr uneingeschränkt aufrechterhalten. Walter benjamin, „Die Aufgabe des Übersetzers“ [1923], in: Walter benjamin, Ge- sammelte Schriften. Bd. IV/1, Frankfurt/M., Suhrkamp, 1972, 9.

8. Brigitte raTH, Einsprachig Mehrsprachig: Pseudoübersetzungen. Abstract zu einem Vortrag zum The- mengebiet „Sprachen literarischer Globalität“, [online] https://www.germanistik.uni-bonn.de/institut/ab- teilungen/vergleichende-literaturwissenschaft-komparatistik/veranstaltungen/xv.-dgavl-tagung-fi-

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Jan Ceuppens

Verkehrung in Pseudo-Übersetzungen Teil einer narrativen Strategie, wie zum Bei- spiel in Montesquieus Lettres persanes (1721). Dessen Bezeichnung als Übersetzung befähigte seinen Autor, harsche Kritik an der damaligen französischen Gesellschaft zu üben, indem er eine Außenperspektive simulierte. In zeitgenössischen Texten kann es Ziel eines solchen Verfahrens sein, Mechanismen der Ent- und Aneignung, der Fremd- und Selbstzuschreibung der Sprache wie der Kultur im Allgemeinen bloßzulegen. Dies dürfte das zentrale Anliegen in Vom Schweigen meines Übersetzers sein.

Die paratextuellen Angaben auf dem Umschlag dieses 2007 erschienenen Prosabuchs scheinen zunächst darauf angelegt, den Leser über die Urheberschaft im Unklaren zu lassen: „deutsch von Hans-Ulrich Möhring“ (SMÜ 3). Eine solche Formel taucht üblicherweise bei Übersetzungen auf, etwa so: Liebe in schlechten Zeiten.

‘Love in the Slump’, deutsch von Hans-Ulrich Möhring – eine 2013 erschienene Überset- zung einer Erzählung von Evelyn Waugh.9 Möhring ist tatsächlich hauptberuflich Übersetzer aus dem Englischen und hat sowohl Sachbücher wie auch Belletristik der unterschiedlichsten Gattungen, sowohl Erwachsenen- wie auch Jugendliteratur übersetzt, unter anderen J.R.R. Tolkien, die Fantasy-Autoren Tad Williams und Geoff Ryman, die Kinderbuchautorin Paula Fox, aber auch William Blakes Langgedicht Milton. Dass es sich im vorliegenden Fall jedoch nicht um eine Über- setzung handelt, wird nicht nur dadurch nahegelegt, dass kein anderer Autorenname genannt wird – womit die für solche Texte meist konstitutive Täuschung entfällt –, sondern auch durch den Zusatz Eine Fiktion. Diese Angabe kann sich zunächst auf die ebenfalls unklare Gattungszugehörigkeit des Buches beziehen: In einem Gespräch mit dem Autor weisen seine Interviewer nicht zu Unrecht auf das Fehlen des üblicheren Etiketts „Roman“ hin und bezeichnen den Text eher als eine Sammlung von kurzen Prosatexten10 oder, so könnte man präzisieren, dramatisierten Essays.

Der unmittelbare Anschluss des Begriffs „Fiktion“ an einen Titel, der das Überset- zen ins Zentrum stellt, lässt aber auch dessen sprachlichen Status als fragwürdig erscheinen. Die weiteren paratextuellen Zusätze – auf dem Klappentext, wo dann doch die Gattung „Roman“ genannt wird – und im Grunde auch die sehr deutsche Literatursprache des Buchtextes selbst beseitigen dann zwar jeden Zweifel daran, dass es sich hier um einen ursprünglich Deutsch geschriebenen Roman des Autors Möhring handelt. Trotzdem schwingt im doppeldeutigen und selbst unübersetzba- ren „Deutsch von …“ das Signal einer (Pseudo)-Übersetzung mit. Dabei erlangt das Epitheton „Deutsch“ überhaupt eine besondere Bedeutung. Der Einsatz eines fiktiven, nicht deutschen Erzählers ermöglicht, wie schon gesagt, den Blick auf das

„Deutsche“ von außen. Und auf metafiktionaler Ebene, so lässt sich vermuten, er- laubt das Verfahren einen klareren Blick des realen Autors Möhring auf den realen Übersetzer Möhring. Man könnte Möhrings Vorgehen vielleicht chiastisch nennen: Die ihm aus der Realität wohlbekannten Rollen „Autor“ und „Übersetzer“ werden um-

guren-des-globalen-weltbezug-und-welterzeugung-in-literatur-kunst-und-medien/tagungs-pdfs/

brigitte-rath.-einsprachig-mehrsprachig-pseudouebersetzungen.pdf

9. Evelyn wauGH, „Liebe in schlechten Zeiten. ‚Love in the Slump‘, deutsch von Hans-Ulrich Möhring“, in: Evelyn wauGH, Ausflug ins wirkliche Leben und andere Meistererzählungen. Ausgewählt von Margaux de Weck und Daniel Kampa, Zürich, Diogenes, 2013, 9-28.

10. Hans-Ulrich möHrinG, „Der Autor und Übersetzer über Literatur und Leben. Interviewt von Andreas Heckmann und Anna Serafin“, in: Am Erker, 2010, 59. [Online], http://am-erker.de/

int59.php.

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gekehrt. Dass die für dessen Gestaltung bevorzugte Form der Dialog ist, der somit einen Großteil der Erzählung prägt, ist nur folgerichtig.

Als Pseudo-Übersetzung präsentiert sich das Buch also im Grunde nur aufgrund der Anderssprachigkeit des anonymen Erzählers: Es handelt sich um einen amerikanischen Schriftsteller. Wie sich herausstellt, ist seine Muttersprache wörtlich die Sprache seiner Mutter, einer Amerikanerin, doch war sein Vater Deutscher. Aus offenbar politischen Gründen war dieser einem Ruf an die Columbia University gefolgt:

Mein Vater war in den fünfziger Jahren aus Deutschland weggegangen, oder vielmehr geflohen, weil er, wie meine Mutter später erzählte, das Gefühl hatte, die Luft nicht mehr atmen und den Boden nicht mehr betreten zu können, die ihm vom giftigen Niederschlag des nationalsozialistischen Irrsinns für alle Zeit verseucht und verunreinigt waren. (SMÜ 33)

Trotz dieser Familiengeschichte und obwohl der Autor auch, wie er in einem späteren Abschnitt erklärt, ein Jahr in West-Berlin studiert hat, muss seine Erzählung aufgrund der fiktionsinternen Logik als Übersetzung aus dem Englischen verstan- den werden. Das gilt zum Teil auch für den Personentext, wie aus dem ersten län- geren Dialog des Autors mit seinem (ebenfalls anonym verbleibenden) deutschen Übersetzer explizit hervorgeht:

Mein Deutsch allerdings ist sehr stark … na, von alten Büchern geprägt. Und wenn es wirklich kompliziert wird, wenn es um Eigenes geht, kehre ich lieber zum Englischen zurück, auch wenn ich über Alltägliches in noch so vielen Sprachen parlieren kann, oder über gewisse Spezialthemen. Aber von mir aus können wir es gerne versuchen, uns deutsch zu unterhalten, das wäre vielleicht eine gute Übung für mich.

Hm, vielleicht, aber vielleicht wäre es auch gut, wenn jeder in seiner Sprache bleiben dürfte und wenn ich Deutsch spreche und du Englisch. Okay?

(SMÜ 41)

Im weiteren Verlauf der Interaktion zwischen den beiden stellt sich dann offenbar eine Mischsprache ein, bei der in deutsche Sätze englische Wörter und Wendungen eingestreut werden:

schon damals war diese Regelung im Laufe des Abends aufgeweicht worden und was wir tatsächlich redeten war ein ziemlich kurioser deutsch-englischer Mischmasch: einer griff die Formulierungen des anderen auf und schob bei Bedarf oder zum Spaß von sich aus eine fremdsprachliche Wendung da- zwischen, häufig in verballhornter Form, oder eine grobwörtlich übersetzte.

(SMÜ 192f.)

Nur in einigen Fällen betreffen solche metalingualen Bemerkungen, die in großer Zahl vorkommen, direkt die Übersetzung und damit gewissermaßen den Status des Textes, so an einer Stelle, in der der Autor von einem deutschen Journa- listen interviewt wird und die beiden über den Gegensatz zwischen Deutschland und den USA diskutieren: „[mir] ging […] plötzlich auf, daß special path eine Überset- zung des Ausdrucks ‚Sonderweg‘ war“ (SMÜ 284). Erst hier wird klar, dass sich

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Jan Ceuppens

die beiden auf Englisch unterhalten haben, dass der amerikanische Autor aber erst einmal rückübersetzen muss, um den wahren Sinn des Gesagten herauszufinden.

An vielen anderen Stellen lässt sich aber innerhalb der Fiktion nicht mehr feststellen, wer hier welche Sprache spricht. Die Unterscheidung zwischen (deutschem?) Personen- und (übersetztem) Erzählertext allerdings ist auf metafiktionaler Ebene nicht ganz unproblematisch, wie noch zu zeigen sein wird.

Wenn der Unterschied zwischen einzelnen Sprachen, in diesem Fall dem Englischen und dem Deutschen, thematisiert wird, kommt es zu fast satirischen, klischeehaften Charakterisierungen. So scheint der Übersetzer im sechsten Kapitel zu einer Tirade gegen seine Mutter- und Zielsprache anzusetzen, kommt aber dann zu einem überraschenden Schluss:

Denn im Deutschen, da herrscht dieser Zwang, ja nichts im Unbestimmten zu lassen, alles explizit zu machen, und zwar haargenau in dieser oder jener Form. […] Wenn einer nicht professionell mit Sprache und Reden zu tun hat, und oft selbst dann, kann er bei diesem dämlichen Richtig-falsch-Spiel, als das wir unsere Sprache begreifen sollen, eigentlich nur danebengreifen, und wie er redet erscheint dann als ein einziger Ausstoß von Fehlern: gebrochene Satz- bögen und beziehungslose Neuansätze, hilflose Wiederholungen, unverbun- dene Einschübe, wilde Tempuswechsel, falsche Fälle, Füllwörter, Redensarten werden vermengt, Bildungsvokabeln falsch gebraucht, Ausdrücke, die gerade angesagt sind, kehren stereotyp wieder, statt eines Nebensatzes kommt ein Stöhnen, oder ein Blick, oder eine Handbewegung, alles was weiterhilft – aber siehst du, da wird es auf einmal doch lebendig, weil dann das Sprechen nicht in den benutzten Wörtern feststeht sondern der ganze Körper spricht, die Lücken füllt, weil ein Mensch sichtbar wird und kein Automat, der antrainierte Satzfertigteile ausspuckt wie die Politiker. (SMÜ 118-19)

Erscheint das Deutsche zunächst noch als eine Zwangsjacke in einer satirisch wir- kenden Formulierung, die etwa an Mark Twains The Awful German Language erinnert,11 so wird dem unregelmäßigen, fehlerhaften Gebrauch der Sprache ein lebendiges, befreien- des Potenzial zugesprochen – was als Maxime für den Übersetzer ergeben würde, dass man „dem Volk aufs Maul schauen“ (Luther) soll. An anderer Stelle wird diese Freiheit und Flexibilität vielmehr dem Englischen zugeschrieben. Diese Einschätzung, die der Übersetzer mit seinen deutschen Generationsgenossen teilt, erklärt der Text mit historischen Erfahrungen, und interessanterweise wird sie mit Musik verknüpft.

Der Übersetzer erzählt dem Autor,

daß seine Wahrnehmung des Englischen wohl wesentlich von der befreienden Wirkung geprägt war, die Rock’n’roll und Beat auf ihn und seine ganze Gene- ration gehabt hatten: die Musik, in der ein Lebensgefühl schwang, rebellisch extatisch wild, das für die Elterngeneration in den fünfziger und sechziger Jahren wie ein Schlag ins Gesicht gewesen war – aber auch die Sprache, die mit ihrer Flapsigkeit und ihrer immer nach Kaugummi klingenden Verzogenheit für sie damals das Laut gewordene Gegenbild zum schulischen Korrekt- heitsdrill und Hochdeutschzwang darstellte. (SMÜ 137).

Die Gegenüberstellung von fremder und eigener Sprache wird durch die Rollenverteilung zwischen Erzähler und Übersetzer immer wieder umgekehrt, Klischeevorstellungen davon immer wieder unterlaufen. So kommt der Erzähler

11. Mark Twain, „The Awful German Language“, in: A Tramp Abroad, London, Chatto &

Windus, 1896.

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Jahre später im Anschluss an Überlegungen zu Wilhelm von Humboldts Sprachphi- losophie zum Fazit, dass dem „feinabwägenden“ Deutschen als „Seelensprache“ das

„praktisch zupackende Englisch“, die „Objektsprache“ gegenübersteht (SMÜ 318), während sein Übersetzer die Entwicklung zu „strenger begrifflicher Eindeutigkeit“, die ein „Basic German“ zu erzeugen scheint, „als erfrischende Schlampigkeit“ wahr- nimmt (SMÜ 319). Auch die Einstellung einer Sprachgemeinschaft Fremdsprachen gegenüber wird als Differenzierungsmerkmal aufgeführt. Die Einfühlung in andere Sprachen, die dem Deutschen zugeschrieben wird, wird mit der Freiheit des En- glischen kontrastiert, einfach so zu sprechen, wie einem „der Schnabel gewachsen“

ist (SMÜ 319), also gegebenenfalls mit starkem Akzent. So scheint jeder der bei- den Akteure dem ihm jeweils Fremden positivere, angemessenere Eigenschaften zuzuweisen. Die Zuweisungen von Fremdem und Eigenem aber in Frage zu stellen, das bildet den Kern dieses Buches.

Die Handlung von Vom Schweigen meines Übersetzers dreht sich um eine Reihe von Aufenthalten des Erzählers in Deutschland zwischen 1989 und 2003, reicht aber an mehreren Stellen weiter in die Biographie und die Familiengeschichte des Erzählers und seines Übersetzers zurück. Das auf Englisch geschriebene Roman- debüt des Erzählers ist bei Beginn der Handlung im Jahre 1989 gerade ins Deutsche übersetzt worden. Dieser Roman, dessen Originaltitel als First Sun of God ange- geben wird, erweist sich bei näherem Hinsehen selbst als eine Art Übersetzung, als Versuch, Bräuche und Riten einer fremden Kultur einem „westlichen“ Publikum verständlich zu machen. Der Roman basiert auf einem Aufenthalt des Erzählers beim Stamm der Tarahumara-Indianer in der mexikanischen Sierra Madre:

Die Idee des Romans (auf Deutsch bekanntlich unter dem Titel Die erste Sonne erschienen) war einfach. Sam Fielding, ein amerikanischer Ethnologe, der seit vielen Jahren über die Indianerstämme Nordmexikos arbeitet, bekommt von dem alten Heiler Pachuco, der für Tarahumaraverhältnissse noch am ehesten das ist was man einen einheimischen Informanten nennen könnte, eines Tages ein zerfleddertes, französisch geschriebenes Notizbuch in die Hand gedrückt.

Es ist, wie sich nach einigen Nachforschungen ergibt, das Tagebuch, das Anto- nin Artaud 1936 auf seiner mehrwöchigen Reise ins Land der Tarahumaras geführt und offensichtlich bei seiner verzweifelten Abreise Anfang Oktober liegengelassen hatte. (SMÜ 24)

Bald wird klar, dass der Erzähler für diesen Roman auf eigene biographi- sche Quellen zurückgegriffen hat: Sein Vater hatte, den Spuren Artauds folgend, die Gegend der Sierra Tarahumara mehrmals besucht und war dort schließlich an einem Klapperschlangenbiss gestorben. Der fiktive Roman basiert also auf einer Verdoppelung, die gleich mehrere Übersetzungen voraussetzt: Der amerikanische Autor hat einerseits Artauds Aufzeichnungen und deren Übersetzung ins Englische verwendet um eine fiktive Geschichte zu erzählen und will andererseits über seinen Protagonisten Pachuco die Stimme der Indios in einer Fremdsprache, hier dem amerikanischen Englisch, zum Klingen bringen. Dass dies, trotz der Einschaltung eines Ethnologen als vermittelnder Erzählerfigur, möglicherweise eine unzulässige Aneignung ist, wird dem Autor Anlass zum Selbstzweifel:

Meine eigene Sprache war mir stellenweise problematisch geworden, am meis- ten in den Passagen, wo der alte Pachuco erzählt […]. Zur Quelle des Mißtons

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Jan Ceuppens

wurde mir, neben dem Indianertum meines Sprechers, mehr und mehr auch sein Alter. (SMÜ 13)

Weniger als ein generelles Mißtrauen gegenüber Identifikation scheint dem noch jungen Autor also die Unglaubwürdigkeit aufgrund mangelnder Ähnlichkeit problematisch – ein fast technisches Problem, möchte man meinen. Bei der ersten längeren Konversation mit seinem Übersetzer erläutert der Autor, wie das Buch zustande gekommen ist und welche Quellen er dazu benutzt hat. Hört der Übersetzer diesen Ausführungen zunächst noch großteils schweigend zu, so holt er am Ende die- ses Dialogs plötzlich aus um dem Autor gleichsam dessen eigene Zweifel in stark verallgemeinerter Form entgegenzuschleudern, wobei sich zeigt, dass es sich nicht einfach um einen kleineren handwerklichen Fehler handelt:

„Die ganze Tarahumarageschichte –„ ,er winkt ab, „eine Fiktion. Eine Fiktion, damit du dich berechtigt fühlst, das Maul aufzumachen, aber in Wahrheit interessieren dich die Tarahumaras gar nicht, und Artaud genauso wenig.

Alles Bilder. Vorstellungen. Krücken. […] Diesen Ethnologen, Luc, den in- teressieren sie, aus welchen Gründen auch immer, und doch kriegt er sie nicht zu fassen, natürlich nicht. Das Andere kriegst du nie zu fassen. Und du? Um überhaupt von ihnen erzählen zu können, hast du dir erst das akademische Zeug von Luc und Kollegen anlesen müssen. Und die Sachen von Artaud, obwohl sie dir völlig abstrus sind.“ (SMÜ 72-73)

Damit ist der Einsatz der Fiktion in Vom Schweigen meines Übersetzers auf den Punkt gebracht: Das Fremde, in diesem Fall der fremdsprachliche Text, dient als Gegen-Stand um sich der eigenen Position zu versichern. Ob dies nun aber tatsäch- lich als unzulässige Enteignung des Anderen aufzufassen ist, ist nicht ohne weite- res klar. Der Autor jedenfalls versteht die zitierte Äußerung seines Übersetzers als Vorwurf. Dem steht jedoch die positivere Einschätzung gegenüber, die er dann nur wenig später gibt, als er über sein nächstes, diesmal mit der indischen Kultur sich befassendes Buchprojekt berichtet und dies mit einem seiner deutschen Vorbilder verbindet: Hermann Hesses Indien-Roman Siddharta. Die Hesse-Verehrung vieler seiner amerikanischen Landsleute hält der Autor für oberflächlich, verfehlt sie doch das Eigentliche, das Hesses Prosa seiner Meinung nach kennzeichnet, nämlich das unterschwellig Deutsche daran. So auch betrachtet er es als

eine denkwürdige Übersetzungsleistung, daß es Hesse gelungen war, durch die Spiegelung im fernen indischen Anderen etwas Eigenes, Deutsches deutlicher, schärfer konturiert zu zeigen, als wenn er es in seiner vertrauten heimischen Umgebung belassen hätte. (SMÜ 89)

Die Metapher des Spiegels, die hier etwas versteckt auftaucht, dürfte konstitu- tiv sein für den gesamten Aufbau dieses Textes. Tatsächlich sucht und erkundet der amerikanische Autor in den neunzehn Kapiteln seiner Erzählung immer wieder andere fremde Kulturen, in oder an denen er sich spiegeln kann. So kommen neben den Tarahumara-Indianern indische und zentralasiatische Kulturen in den Blick, deren Bedeutung sich teilweise aus der Erziehung des Erzählers ergibt: Seine Eltern hatten in den fünfziger und sechziger Jahren offensichtlich enge Kontakte zu Künst- lerkreisen, etwa den Dichtern der Beat Generation, und teilten auch deren Faszination für nichtwestliche Kulturen. Doch nicht nur ‚fremde‘ Kulturen, sondern auch die Beziehungen mit seinen deutschen Gewährsleuten bilden für den Erzähler eine Art

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Reflexionsfläche. In Deutschland nimmt der Autor Kontakt auf mit seiner ehe- maligen Kommilitonin Silke, die nun ebenfalls Übersetzerin geworden ist, hat ein kurzfristiges aber sehr heftiges Verhältnis mit einer Frau, die die tibetanische Kultur erforscht und übersetzt, und wird am Ende immer wieder mit der Position seines eigenen Übersetzers, dem Problem der Übersetzung und letztendlich mit der Frage

„Er oder ich?“ (SMÜ 7) konfrontiert, die bereits ganz zu Anfang gestellt wird.

Dieses „er oder ich“ – das sich auch im schon eingangs geäußerten Wunsch des Erzählers zeigt, dass sein Übersetzer auf jeden Fall ein Mann seines Alters sein solle – führt zu einem andauernden Rollentausch zwischen den beiden Pro- tagonisten, in dem sie sich wechselweise ergänzen und verdoppeln. Dabei wird die durchgängige Metapher der Spiegelung von Eigenem und Fremdem von einer ganzen Reihe von anderen Metaphern und Oppositionen überlagert. So steht dem redseligen, umtriebigen Erzähler, der die fremden Kulturen besucht um aus erster Hand davon berichten zu können, sein schweigsamer, bodenständiger Übersetzer gegenüber, der nach eigenem Bekunden Deutschland nie verlassen hat und das eigene Land vorzugsweise auch nur zu Fuß bereist. Die Opposition zwischen dem Nomadischen und dem Sesshaften kann durchaus auch als metaphorischer Ausdruck für den in der Übersetzungswissenschaft gängigen Gegensatz zwischen exotisierendem und normalisierendem Übersetzen gelesen werden.

Eine weitere Metapher steht im Zentrum des programmatischen Textes, den der Übersetzer dem Erzähler kurz nach ihrer ersten Begegnung schickt: Erfahrung des Flusses. Vom Fährmannsberuf (SMÜ 86). Der Erzähler erkennt die Metapher als versteckten Hinweis auf Hesses Siddharta, was ihn zu den oben bereits zitierten Überlegungen veranlasst, aber das Bild erhält hier eine eigene Wendung: Der Über- setzer (etymologisch als Über-Setzer zu lesen) ermöglicht den Verkehr zwischen zwei Ufern, verbleibt aber selbst im Medium, dem „Fluss“ der Sprache. Tatsächlich identi- fiziert sich der Übersetzer dann zunehmend mit diesem Medium. Das Bild taucht erneut auf bei einer Podiumsdiskussion mit dem Titel „Übersetzens Wert“, der der Erzähler, seine Bekannte Silke und sein Übersetzer gemeinsam beiwohnen (SMÜ 141-167). Die Diskussion wirkt wie eine Inszenierung des literarischen Polysystems, in dem die wesentlichen Instanzen Autor, Lektor, Verleger, Übersetzer aufgeführt werden. Sie verdoppeln die narrative Ausgangssituation einmal mehr und dekli- nieren die verschiedenen Positionen der Übersetzungstheorie durch. Auch hier ist aber die Rede vom „charontischen“ Geschäft des Übersetzens (SMÜ 159), was allerdings die wohl eher ungewollte Interpretation ermöglicht, dass das Original ins Jenseits befördert oder gar abgetötet wird. Für die beiden Protagonisten hingegen scheint die Pointe der sich daran anschließenden Überlegungen darin zu bestehen, dass der Übersetzer weder am einen, noch am anderen Ufer zu Hause ist, sondern sich dauernd im Fluss aufhält, dass also sein Medium „reine Sprache“ wäre – womit sich der Text wieder in die Nähe von Walter Benjamins Essay bewegt.12 Tatsächlich wird dieser vom Erzähler an einer Schlüsselstelle genannt. Nachdem er zunächst die Unverständlichkeit von Benjamins Übersetzer-Essay beklagt, verweist er auf einen Aufsatz von Carol Jacobs, der genau das Motiv der reinen Sprache als wichtigstes Argument Benjamins herausarbeitet (SMÜ 114). Jacobs’ Aufsatz gibt es – anders als manch anderen, als falsche Fährte in den Text gelegten Literaturhinweis – tatsäch- lich; der bei Möhring nicht genannte Titel The Monstrosity of Translation aber weist

12. Walter benjamin, „Die Aufgabe des Übersetzers“, 19.

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Jan Ceuppens

auf die Unerreichbarkeit dieser reinen Sprache hin,13 eine Position, die Möhrings beide Protagonisten an dieser Stelle nicht zu teilen scheinen – ob das aber auch auf die Aussage seines Buches als Ganzes zutrifft, ist zunächst noch unklar.

Wenn die Beziehung zwischen dem Erzähler und seinem Übersetzer im Laufe der Handlung intensiver wird, dann vor allem aufgrund eines der Sprache zugrunde liegenden, aber selbst nicht verbalen Mediums: der Musik. Neben der visuellen Metapher des Spiegels und der gleichsam taktilen des Flusses, in dem sich der Fährmann bewegt, steht als dritte Leitmetapher in diesem Text die auditive. Das Hören, vor allem das Hören von Musik, ist zentral für das Übersetzungskonzept, das die Protagonisten im Dialog entwickeln; überhaupt ist im Text das Wortfeld des Auditiven, des Schweigens und Hörens stark vertreten, manchmal in geradezu an Heidegger erinnernden Wendungen („die Sprache selbst spricht sich mir zu“, SMÜ 362). Während des ersten Besuchs des Erzählers beim Übersetzer stellt sich nach und nach heraus, dass die beiden musikalische Präferenzen teilen. Und wieder taucht hier die deutsche Familiengeschichte des Erzählers auf. So kommentiert er einen frühen Aufsatz seines Vaters, der seine Karriere als Musikethnologe in Deutschland angefangen hat. Der 1939 erschienene Text lobt Herder als den Ent- decker der Volkslieder als Grundlage für die Dichtung. In diesem Material, so der Aufsatz, finde man die „eigentlichen Wurzeln des menschlichen Singens und Sagens“

(SMÜ 314). Das wird zwar, dem Zeitgeist der dreißiger Jahre entsprechend, sofort in eine völkische Reinheitsideologie umformuliert, vor der sich der Vater später ekelte, aber der Grundgedanke ist auch für den Erzähler eine Leitidee und für den Text damit ein Leitmotiv. Die spätere Feldforschung des Vaters, der alle möglichen Musiktraditionen zu sammeln suchte, wird dann zum überraschenden Bindeglied zwischen dem Erzähler und dem Übersetzer: Der Übersetzer legt eine Schallplatte auf, die sich als Aufnahme des Vaters erweist, die der Erzähler seit seiner Kindheit nicht mehr gehört hatte. In den Musiktraditionen, die dabei im Vordergrund ste- hen, spielt der Rhythmus eine Hauptrolle. Der Übersetzer baut selbst Trommeln und weist mehrmals auf den Zusammenhang zwischen dem Gehen als natürlichem Rhythmus und der Sprache hin, ein Gedanke, den der Erzähler später auch über- nimmt. Auf der anderen Seite stehen minimalistische Klanggebilde am Rande der Stille, insbesondere von Arvo Pärt, dessen Stück Silentium (SMÜ 81) symbolische Bedeutung gewinnt. Schweigen und Rhythmus werden hier miteinander verbun- den: Es kommt, darin sind sich Erzähler und Übersetzer letztendlich einig, auf ein

„Sich Einschweigen“ (SMÜ 28) in den Rhythmus der Sprache an, um ein Er-Hören desjenigen, was die Sprache des Anderen mitteilt.

Nachdem der Erzähler alle möglichen fernab gelegenen Kulturen erforscht und in eigener Sprache erzählt hat, veranlasst ihn der durchgehende Dialog mit sei- nem Übersetzer dazu, jetzt Deutschland und dessen Sprache näher zu erforschen und damit sozusagen zu seinen Wurzeln zurückzukehren. Gleichzeitig aber ist das wiederum ein Akt der Identifikation mit seinem Übersetzer und dessen Wande- rungen durch seine Heimat; die Annäherung an Deutschland erweist sich damit also gleichzeitig als weitere Annäherung an den Übersetzer. Dabei sitzt der Erzäh- ler zunächst einer Idealvorstellung (oder einem Klischeebild) von Deutschland auf und besucht die Orte, die zum kollektiven, kulturellen Gedächtnis Deutschlands

13. Carol jacobs, “The Monstrosity of Translation”, in: Modern Language Notes, 1975, 90, 6, 755-766.

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gehören und auch von Außenstehenden typischerweise mit der deutschen Identi- tät verbunden werden – Erinnerungsorte also im Sinne Pierre Noras:14 Sein erster Besuch gilt dem Hermannsdenkmal, wo ihm das Bild vom „deutschen Urwald“ als romantisches Reißbrettkonzept entlarvt wird, und anschließend will er ins ger- manistische Ideal-Urlaubsziel Weimar, landet aber unversehens in der Gedenk- stätte Buchenwald und versteht dort erstmals den „Ekel [s]eines Vaters vor sich selbst“ (SMÜ 331). Ein Gespräch mit zwei jungen Deutschen aber – sie erst 1980 in der DDR geboren, er türkischer Herkunft – löst ihn aus den Stereotypen und bringt ihn letztendlich zur Einsicht, dass er weniger ein Buch über Deutschland als vielmehr eines über seinen Übersetzer schreiben will. Statt eine objektivierende Aus- einandersetzung mit der Heimat seines Vaters zu suchen, muss sich der Erzähler jetzt um einen wirklichen Dialog mit seinem sprachlichen Wiedergänger bemühen. Es soll nicht mehr um das „ich oder er“ gehen, mit dem das Buch einsetzte, sondern um ein „ich und du“: „ich [musste] zum Übersetzer meines Übersetzers werden“ (SMÜ 368).

Zu diesem Zweck sucht der Erzähler nun nach Zeugen. Dabei nimmt er in erster Linie die Frauen in Anspruch, mit denen der Übersetzer bekannt war:

Die Übersetzerin Silke, von der der Übersetzer vermutet, sie könnte ein Verhältnis mit dem Übersetzer gehabt haben, Nancy, eine ehemalige Freundin des Überset- zers, und Gerhild, die geschiedene Frau des Übersetzers. Die Frauen werden zu Vermittlerinnen – oder metaphorisch gewendet auch wieder zu Übersetzerinnen – zwischen den beiden Männern. Durch Gerhild kommt der Erzähler schließlich an die Notizbücher des Übersetzers, aus denen hervorgeht, dass dieser, so schweigsam er im Umgang gewesen sein mag, den Dialog mit seinem Schriftsteller schriftlich aufgenommen hat: Die Notizen enthalten beispielsweise einen Brief, den ihm der Erzähler geschickt hatte und den er mit Randbemerkungen vollgeschrieben hat.

Die Gegenseitigkeit, an die der Erzähler im Laufe des Textes immer wieder gezwei- felt hat, war von Anfang an da. Doch die Notizen sind enigmatisch und münden in aphoristische oder gedichthafte Kurztexte, die schließlich wieder bis an den Rand des Schweigens gehen. Es sind, wie der Leser erst jetzt erfährt, diese Texte, die als Motti über das Buch verstreut vorkommen.

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Die ganze Bedeutung dieses Textes ist wohl erst durch die Konfrontation mit den biographischen Tatsachen des realen Autors Möhring zu fassen. Aus dem bereits zitierten Interview geht hervor, dass viele der Erfahrungen, die dem ameri- kanischen Autor-Erzähler in Vom Schweigen meines Übersetzers zugeschrieben werden, auch Erfahrungen Möhrings sind. Die Interviewer fassen zusammen:

Als Beispiel für deine Wanderungen sei die halbjährige Fußreise vom Boden- see zur syrisch-türkischen Grenze genannt; als das Anheuern auf einem Schiff Richtung Osten dann nicht klappte, bist du von Athen nach Karatschi geflo- gen und hast noch ein halbes Jahr in Pakistan und Indien angeschlossen. Eine andere, anderthalbjährige Reise hat dich in die USA geführt, wo du so viele aufregende Dinge gemacht hast, in New Mexico vor allem, dass man meinen

14. Pierre nora (Hg.), Les lieux de mémoire, 3 Bde., Paris, Gallimard, 1984-1992; vgl. François deTienne & Hagen scHuLze (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte, 3 Bde., München, Beck, 2002.

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könnte, das reicht für ein Leben. Aber dir hat es nicht gereicht – das war nur eines deiner vielen Erfahrungsstadien.15

Es liegt auf der Hand, die beiden Protagonisten des Buches als zwei Aspekte der Persönlichkeit ihres Autors zu deuten.16 So ergibt sich am Ende das Bild, das der fiktionale Dialog zwischen dem anderssprachigen Autor und seinem deutschen Übersetzer auf metafiktionaler Ebene die Selbstverständigung eines deutschen Übersetzers mit sichselbst und in der Folge mit der eigenen Sprache ist, die ihm kein objektiviertes Es bleiben soll, sondern ein lebendiges Du. Ob aber das aufs Äußerste verknappte, sehr optimistisch klingende, ja geradezu erlösende Motto des allerletzten Abschnitts sich bewahrheiten kann, bleibt offen:

eins nicht zwei

Die Bewegung hin zum Anderen – das hier unverkennbar das Andere im Eigenen ist oder, wie es einmal im Text heißt, die „eigene Verlorenheit“ (SMÜ 295) – und die Erfassung von dessen eigener Stimme in einer dialogischen Konstellation scheinen viel- mehr asymptotisch und unabschließbar. Die Differenz zwischen beiden bleibt unerlöst, die Übersetzung kommt nie zu sich, das Eigene, soweit es immer auch ein Gegenüber ist, kann nie ganz er-hört werden.

Jan c

euppens KU Leuven – ceres

J.Ceuppens@kuleuven.be

15. Hans-Ulrich möHrinG, „Der Autor und Übersetzer über Literatur und Leben …“, ibid.

16. Ganz ähnlich in Möhrings jüngerer Novelle Ausgetickt, in der es aber um einen Dialog zwischen einem Übersetzer und einer ehemaligen Kommilitonin geht, die als Autorin und Übersetzerin für die Schublade schreibt; das Buch dreht sich einerseits um die erotische Spannung zwischen den beiden, andererseits aber um die Übersetzung des rätselhaften Gedichts A Clock Stopped von Emily Dickinson (Hans-Ulrich möHrinG, Ausgetickt. Ein Exzess, Berlin, Edition Rugerup, 2015).

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