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Die Rechtsprechung des EuGH zur Zulässigkeit „nationaler Alleingänge“ (Art. 95 Abs. 4-6 und Art. 176 EGV)

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Die Rechtsprechung des EuGH zur Zulässigkeit „nationaler Alleingänge“

(Art. 95 Abs. 4-6 und Art. 176 EGV) Versuch einer Standortbestimmung

Astrid Epiney

Dieser Beitrag wurde erstmals wie folgt veröffentlicht:

Astrid Epiney, Die Rechtsprechung des EuGH zur Zulässigkeit „nationaler Alleingänge“ (Art.

95 Abs. 4-6 und Art. 176 EGV). Versuch einer Standortbestimmung, FS Hans-Werner Rengeling, Köln u.a. 2008, S. 215-232. Es ist möglich, dass die Druckversion – die allein zitierfähig ist – im Verhältnis zu diesem Manuskript geringfügige Modifikationen enthält.

I. Einleitung

Gemeinschaftliche (Harmonisierungs-) Maßnahmen sind grundsätzlich vor dem Hintergrund zu sehen, dass in Bezug auf die zu regelnde Frage ein gemeinschaftsweiter (Schutz-) Standard umschrieben werden soll, so dass sich die Mitgliedstaaten jedenfalls an diesen Standard zu halten haben, auch soweit eine „Verstärkung“ des Schutzstandards zur Debatte steht.1 Allerdings sehen die Verträge in einigen (wenigen) Fällen Ausnahmen vor, so auch für den Bereich des Umweltrechts in Art. 95 Abs. 4-6 EGV und Art. 176 EGV, die es den Mitgliedstaaten ermöglichen (sollen), unter bestimmten Voraussetzungen im Hinblick auf die Sicherstellung der Verfolgung umweltpolitischer Zielsetzungen strengere Schutzstandards anzulegen. Diese Bestimmungen – die vor allem relativ bald nach ihrer Einfügung in den Vertrag Anlass zu zahlreichen Abhandlungen gaben2 – sind inzwischen auch häufiger vor

1 Vgl. grundsätzlich zur „Sperrwirkung“ des Sekundärrechts bereits Andreas Furrer, Die Sperrwirkung des sekundären Gemeinschaftsrechts auf die nationalen Rechtsordnungen – Die Grenzen des nationalen Gestaltungsspielraums durch sekundärrechtliche Vorgaben unter besonderer Berücksichtigung des

„nationalen Alleingangs“ -, 1994, 90 ff.; S. sodann etwa Jan Jans/Ann-Katrin von der Heide, Europäisches Umweltrecht, 2003, 119 ff.; Wolfgang Kahl, in: Christian Calliess/Matthias Ruffert (Hrsg.), Kommentar zu EU- und EG-Vertrag, 3. Aufl., 2006, Art. 95, Rn. 32.

2 Vgl. zu diesen Regelungen (bzw. teilweise den Vorgängerregelungen) aus der Literatur (abgesehen von den einschlägigen Kommentaren) etwa Andreas Middeke, Nationaler Umweltschutz im Binnenmarkt, 1994; Christoph Palme, Nationale Umweltpolitik in der EG. Zur Rolle des Art. 100a IV im Rahmen einer Europäischen Umweltgemeinschaft, 1992; Ulrich Becker, Der Gestaltungsspielraum der EG- Mitgliedstaaten im Spannungsfeld zwischen Umweltschutz und freiem Warenverkehr, 1991; Silke Albin/Stefani Bär, Nationale Alleingänge nach dem Vertrag von Amsterdam. Der neue Art. 95 EGV:

Fortschritt oder Rückschritt für den Umweltschutz?, NuR 1999, 185 ff.; Nicolas de Sadeleer, Procedures for derogations from the principle of approximation of laws under Article 95, CMLRev. 2003, 889 ff.;

Pal Wenneras, Fog and Acid Rain Driftung from Luxembourg over Art. 95 (4) EC: Case C-3/00 Kingdom of Denmark v. the Commission of the European Communitites (Danish Food case), EELR 2003, 169 ff.; Nicola Notaro, Case C-203/96, Chemische Afvalstoffen Dusseldorp BV and Others v.

Minister van Volksuisvesting, Ruimtelijke Ordeening en Milieubeheer, CMLRev. 1999, 1309 ff.; Hans D. Jarass, Verstärkter Umweltschutz nach Art. 176 EG, NVwZ 2000, 529 ff.; Gerd Winter, Die

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dem EuGH relevant geworden, wenn auch nicht zu verkennen ist, dass ihre Praxisrelevanz in der Vergangenheit insgesamt nicht allzu hoch war, da die Mitgliedstaaten sich in der Regel schon aus wirtschaftlichen Gründen scheuen, im eigenen Land strengere Maßstäbe als die vom Gemeinschaftsrecht geforderten anzulegen. Aus konzeptioneller und dogmatischer Sicht sind die genannten Bestimmungen aber durchaus von einer gewissen, auch allgemeinen Bedeutung, zumal ihre Rolle im Zuge der Erweiterung und der damit einhergehenden größeren Diversität der Mitgliedstaaten zunehmen könnte.

Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden eine Standortbestimmung der Auslegung der genannten Bestimmungen durch den EuGH versucht werden (IV.), dies auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH zu Art. 95 Abs. 4-6 EGV (II.) und zu Art. 176 EGV (III.). M.a.W. geht es hier weniger um eine allgemeine Erörterung der genannten Artikel, denn um die Frage, welche Auslegungsprobleme bereits durch die Rechtsprechung zumindest vorläufig geklärt sind und welche nicht sowie um das Aufgreifen von Perspektiven für die noch offenen Fragen.

II. Art. 95 Abs. 4-6 EGV

In Bezug auf Art. 95 Abs. 4-6 EGV – die in ihrer heutigen Form auf dem Amsterdamer Vertrag (am 1. Mai 1999 in Kraft getreten) zurückgehen – sind bislang drei Urteile des EuGH bzw. des EuG ergangen,3 deren wesentliche Aussagen nachfolgend zusammengefasst werden sollen.

Am Rande sei noch auf das Urteil des EuGH in der Rs. C-319/974 hingewiesen: Ausgangspunkt des Urteils war ein Strafverfahren in Schweden wegen Verstoßes gegen die (nationalen) Vorschriften über die Verwendung von Farbstoffen in Lebensmitteln, die strenger waren als die einschlägigen gemeinschaftlichen Bestimmungen. Die schwedische Regierung hatte nach Art. 100a Abs. 4 EGV a.F.

einen Antrag auf weitere Anwendung der strengeren nationalen Vorschriften gestellt, der aber mehr als zweieinhalb Jahre ohne Antwort blieb. Der Gerichtshof stellte hier fest, dass eine Mitteilung nach Art.

100a Abs. 4 EGV a.F. einer unmittelbaren Wirkung einer Richtlinie nicht entgegenstehe, selbst wenn die Kommission nicht innerhalb einer vernünftigen Frist und damit in Verletzung ihrer Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit nach Art. 10 EGV entschieden hat. Heute räumt Art. 95 Abs. 6 EGV der Kommission Sperrwirkung von Gemeinschaftssekundärrecht für einzelstaatliche Regelungen des Binnenmarktes mit besonderer Berücksichtigung von Art. 130t EGV, DÖV 1998, 377 ff.; Christoph Palme, Bans on the Use of Genetically Modified Organisms (GMOs) – the Case of Upper Austria, JEEPL 2006, 22 ff.; Sarah Ziane/Claire Koeniguer, C-3/00, Royaume de Danemark c. Commission (Conditions d’application de l’article 95, § 4 du Traité CE), Revue européenne de droit de la consommation 2003, 215 ff.; Wolfgang Kahl, Anmerkung zu EuG, Rs. T-366/03, T-235/04 (Verbot des Einsatzes gentechnisch veränderter Organismen in Oberösterreich), ZUR 2006, 86 ff.; Andreas Bücker/Sabine Schlacke, Rechtsangleichung im Binnenmarkt – Zur Konkretisierung verfahrens- und materiell-rechtlicher Anforderungen an nationale Alleingänge durch den EuGH, NVwZ 2004, 62 ff.; Christiane Richter, „Nationale Alleingänge“ – Förderung hoher Regelungsstandards oder Behinderung eines einheitlichen Binnenmarktes?, 2007.

3 Nicht eigens eingegangen werden soll hier auf das erste Urteil zum damaligen Art. 100a IV (das sog.

„PCP-Urteil“) EuGH, Rs. C-41/93 (Frankreich/Kommission), Slg. 1994, I-1829, wo es im Wesentlichen um heute durch die Neufassung der Bestimmung überholte verfahrensrechtliche Fragen ging, wenn auch gewisse implizite Aussagen in dem Urteil zu erkennen sein könnten. Zu diesem Urteil etwa Richter,

„Nationale Alleingänge“ (Fn. 2), 142 ff.

4 EuGH, Rs. C-319/97 (Kortas), Slg. 1999, I-3143. Hierzu Astrid Epiney, Anmerkung, ZLR 1999, 619 ff.

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eine höchstens einmal verlängerbare Frist von sechs Monaten ein, um die Entscheidung zu treffen; erfolgt keine Entscheidung, gilt die nationale Maßnahme als genehmigt, so dass nach Ablauf der Frist auch eine unmittelbare Wirkung der entsprechenden Richtlinienbestimmungen ausgeschlossen sein muss. Das Urteil behält aber seine Bedeutung für die Zeit, während derselben die Frist läuft.

1. Rs. C-512/99

In der Rs. C-512/995 ging es um die Einführung strengerer nationaler Vorschriften als in der RL 97/69 vorgesehen für als krebserzeugend geltende künstliche Mineralfasern. Der EuGH stellte hier zunächst fest, dass in dem Fall, in dem zwar die Mitteilung der nationalen Bestimmungen vor Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages erfolgt war, die Kommission ihre Entscheidung aber nach seinem Inkrafttreten fällte, mangels anderer Anhaltspunkte die neue Rechtslage ausschlaggebend sei. Die Entscheidung der Kommission sei auch rechtmäßig gewesen, da Deutschland der Kommission nicht – wie von Art. 95 Abs. 5 EGV gefordert – die Gründe für den Neuerlass nationaler Vorschriften mitgeteilt habe; die Bundesrepublik habe von dieser Rechtslage Kenntnis haben müssen.

Weiter machte der EuGH – neben dem Hinweis, dass es sich bei den in Art. 95 Abs. 5 EGV formulierten Voraussetzungen um kumulative Voraussetzungen handle6 – grundsätzliche Ausführungen zu der in Art.

95 Abs. 4 und Abs. 5 EGV getroffenen Unterscheidung zwischen der Beibehaltung und der Neueinführung nationaler Vorschriften:

„Der Unterschied zwischen diesen beiden Fällen liegt darin, dass die einzelstaatliche Bestimmung im ersten Fall vor der Harmonisierungsmaßnahme bestand. Sie war dem Gemeinschaftsgesetzgeber daher bekannt, aber dieser konnte oder wollte sich von ihr nicht für die Rechtsangleichung inspirieren lassen. Es konnte daher hingenommen werden, dass dem Mitgliedstaat das Recht eingeräumt wurde, einen Antrag auf Weitergeltung seiner eigenen Regelungen zu stellen. Hierfür ist es nach dem EG-Vertrag erforderlich, dass die nationalen Bestimmungen durch wichtige Belange i.S. des Art. 30 EG oder in Bezug auf den Schutz der Arbeitsumwelt oder den Umweltschutz gerechtfertigt sind. Im zweiten Fall dagegen kann der Erlass neuer einzelstaatlicher Rechtsvorschriften zusätzliche Gefahren für die Rechtsangleichung mit sich bringen. Die Gemeinschaftsorgane konnten naturgemäß de nationalen Vorschriften bei der Ausarbeitung der Harmonisierungsmaßnahme nicht berücksichtigen. In diesem Fall werden die Belange i.S. des Art. 30 EG außer Acht gelassen und nur Gründe des Umweltschutzes oder des Schutzes der Arbeitsumwelt zugelassen, sofern der Mitgliedstaat neue wissenschaftliche Erkenntnisse beibringt und sich die Einführung neuer einzelstaatlicher Bestimmungen auf Grund eines spezifischen Problems für diesen Mitgliedstaat, das sich nach dem Erlass der Harmonisierungsmaßnahme ergibt, als notwendig erweist.“7

2. Rs. C-3/00

In der Rs. C-3/008 ging es – in Abweichung von der RL 95/29 – um die Beibehaltung dänischer Vorschriften zur Verwendung von Sulfiten, Nitriten und Nitraten in Lebensmitteln.

Diese Zusatzstoffe haben konservierende Wirkung, können aber offenbar auch schwere allergische Reaktionen auslösen bzw. sind krebserzeugend. Die Kommission lehnte die

5 EuGH, Rs. C-512/99 (Deutschland/Kommission), Slg. 2003, I-845.

6 EuGH, Rs. C-512/99 (Deutschland/Kommission), Slg. 2003, I-845, Ziff. 80 f.

7 EuGH, Rs. C-512/99 (Deutschland/Kommission), Slg. 2003, I-845, Ziff. 41.

8 EuGH, Rs. C-3/00 (Dänemark/Kommission, Slg. 2003, I-2643.

9 RL 95/2 über andere Lebensmittelzusatzstoffe als Farbstoffe und Süßungsmittel, ABl. 1995 L 61, 1.

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Genehmigung dieser unter Berufung auf den Gesundheitsschutz beibehaltenen nationalen Bestimmungen ab, da sie nicht den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügten. Der EuGH – der an die bereits in der Rs. 512/99 formulierten Erwägungen zu den grundsätzlichen Unterschieden zwischen Art. 95 Abs. 4 und Abs. 5 EGV anknüpft – schloss sich in Bezug auf die Sulfite den Erwägungen der Kommission an, erklärte ihre Entscheidung allerdings in Bezug auf die Verwendung von Nitriten und Nitraten für nichtig. Von Bedeutung sind insbesondere folgende Erwägungen des EuGH:

- Billigt die Kommission eine nationale Bestimmung nach Art. 95 Abs. 4, 6 EGV, so führe dies zur Änderung des Anwendungsbereichs der entsprechenden gemeinschaftlichen Handlung mit Wirkung erga omnes. Gleichwohl könne das Verfahren nicht als Teil des Rechtsetzungsverfahrens angesehen werden. Der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens (mit der Folge gewisser Anhörungspflichten) gelte hier aufgrund der eindeutigen vertraglichen Regelungen nicht; auch könne der betroffene Mitgliedstaat – von dem die Initiative zu dem Verfahren ausgehe – seinen Standpunkt in seinem Antrag erläutern.

- Weiter weist der EuGH – insofern auch in Anknüpfung an die Rs. C-512/99 – darauf hin, dass Art. 95 Abs. 4, 5 EGV unterschiedliche Konstellationen beträfen; insbesondere könne im Fall der Anwendung des Art. 95 Abs. 4 EGV nicht verlangt werden, dass die Beibehaltung der einzelstaatlichen Bestimmungen auf einem spezifischen Problem des betreffenden Mitgliedstaates beruhe, sei diese Voraussetzung doch nur für die Neueinführung nationaler Bestimmungen in Art. 95 Abs. 5 EGV vorgesehen. Allerdings könne die Existenz eines solchen spezifischen Problems von Bedeutung für die Entscheidung der Kommission nach Art. 95 Abs. 4 EGV sein. Ähnliches gelte für das Erfordernis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Der EuGH führt aber nicht aus, inwiefern das Vorliegen dieser Voraussetzungen im Rahmen des Art. 95 Abs. 4 EGV von Bedeutung sein kann; es liegt nahe, hier an die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme sowie an die für ihren Nachweis anzulegenden Anforderungen zu denken.

- Im Rahmen des Art. 95 Abs. 4 EGV könne der Mitgliedstaat geltend machen, dass er die Gefahr für die öffentliche Gesundheit anders bewerte als es der Gemeinschaftsgesetzgeber in der Harmonisierungsmaßnahme getan hat; abweichende Bewertungen der Gesundheitsgefahren seien somit – auch und gerade angesichts der Unsicherheiten, die mit der Bewertung dieser Gefahren verbunden seien – möglich, auch wenn hierfür keine anderen oder neuen wissenschaftlichen Daten zugrunde gelegt werden. Der Mitgliedstaat habe aber nachzuweisen, dass die nationalen Bestimmungen ein höheres Niveau des Gesundheitsschutzes als die gemeinschaftliche Maßnahme gewährleisten und dass sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen.

- Die unterschiedliche Beurteilung von Sulfiten einerseits und Nitriten und Nitraten andererseits beruht in erster Linie darauf, dass der EuGH im Falle der Sulfite annahm, dass Dänemark die Gesundheitsgefahr nicht nachgewiesen habe, insbesondere auch im

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Hinblick darauf, dass Sulfite in Dänemark in einigen anderen Lebensmitteln zugelassen sind. Bei den Nitriten und Nitraten hingegen sei die in der RL 95/2 festgelegte Höchstmenge bereits durch den wissenschaftlichen Lebensmittelausschuss in Frage gestellt worden, was durch die Kommission nicht berücksichtigt worden sei. Schon aus diesem Umstand folge, dass die Entscheidung der Kommission mit einem Fehler behaftet sei, der zu ihrer Nichtigkeit führe.

3. verb. Rs. T-366/03 und T-235/04

In den verb. Rs. T-366/03 und T-235/0410 stand eine Abweichung von der RL 2001/1811 durch die Einrichtung einer GVO-freien Zone in Oberösterreich zur Debatte. Nach der Feststellung, dass auch im Rahmen von Art. 95 Abs. 5 EGV (wie bei Art. 95 Abs. 4 EGV) der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens nicht heranzuziehen sei12 und der Begründungspflicht Genüge getan worden sei,13 stellte das Gericht in Anknüpfung an die erörterte Rechtsprechung des EuGH14 fest, dass – wie sich bereits aus dem Text des Art. 95 Abs. 4, 5 EGV ergibt – im Falle der Beibehaltung bestehender einzelstaatlicher Bestimmungen einerseits und im Falle der Neueinführung nationaler Vorschriften andererseits unterschiedliche Anforderungen zu beachten seien, wobei die Vorgaben im zuletzt genannten Fall strenger seien, da der Erlass neuer einzelstaatlicher Rechtsvorschriften die Harmonisierung stärker gefährden könne. Weiter machte sich das Gericht die Argumentation der Kommission zu eigen: Die kleinbetrieblich strukturierte Landwirtschaft in Oberösterreich sowie die dortige Bedeutung der ökologischen Landwirtschaft stellten keine Besonderheiten dieser Region dar, sondern kämen in allen Mitgliedstaaten vor. Weiter seien keine Nachweise darüber vorgelegt worden, dass Oberösterreich über ein ungewöhnliches oder einzigartiges Ökosystem verfüge. Daher sei nicht nachgewiesen worden, dass die Voraussetzungen des Art.

95 Abs. 5 EGV erfüllt gewesen seien. Sodann stellte das EuG fest, dass die Berufung auf die Verletzung des in Art. 174 Abs. 2 EGV formulierten Vorsorgeprinzips nicht geeignet sei, die Aufhebung der Entscheidung der Kommission nach sich zu ziehen: Denn der Umstand, dass die Kommission zum Schluss gekommen war, die Anwendungsvoraussetzungen des Art. 95 Abs. 5 EGV lägen nicht vor, führe zwingend dazu, dass die Kommission den Antrag jedenfalls nur ablehnen könne.

10 EuG, verb. Rs. T-366/03 und T-235/04 (Oberösterreich und Österreich/Kommission), Urt. v. 5.10.2005, noch nicht in der amtl. Sammlung. Zur Prozessgeschichte Christoph Palme, Nationaler Naturschutz und Europäisches Gentechnikrecht, NuR 2006, 76 (77).

11 ABl. 2001 L 106, 1. Vgl. zum Konflikt der österreichischen Regelung mit der RL 2001/18 Palme, NuR 2006 (Fn. 10), 76 f.

12 Und daher die Mitgliedstaaten nicht nochmals anzuhören seien. Kritisch hierzu Kahl, ZUR 2006 (Fn. 2), 86 f.; Palme, NuR 2006 (Fn. 10), 76 (77 f.).

13 Auf diese beiden Aspekte soll im Rahmen dieses Beitrags nicht weiter eingegangen werden.

14 S.o. II.1., 2.

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4. Rs. T-182/06

In der Rs. T-182/0615 ging es um eine niederländische Maßnahme, wonach gewisse Emissionsgrenzwerte für Dieselfahrzeuge im Vergleich zum Gemeinschaftsstandard zu reduzieren seien, wobei die Kommission aber ebenfalls eine entsprechende Verschärfung der Grenzwerte bereits vorgeschlagen hatte. In Bezug auf die hier im Vordergrund stehende Frage, ob ein spezifisches Problem im Sinne des Art. 95 Abs. 5 EGV vorlag, führt das Gericht Folgendes aus:

- Allgemein und damit nicht spezifisch sei jedes Problem, das sich in im Großen und Ganzen

entsprechender Weise in sämtlichen Mitgliedstaaten stellt und sich folglich für harmonisierte Lösungen auf Gemeinschaftsebene anbiete. Entscheidend sei daher die Frage, ob die gemeinschaftliche

Harmonisierung der anwendbaren Vorschriften geeignet ist, örtlich aufgetretenen Schwierigkeiten angemessen zu begegnen ist oder nicht.

- Allerdings sei nicht notwendig, dass das Problem nur in einem einzigen Mitgliedstaat auftrete, was die Kommission auch nicht angenommen habe. Weiter sei nicht nachgewiesen, dass es in den Niederlanden ein spezifisches Problem gebe: Vielmehr sei die Problematik der durch den Straßenverkehr verursachten Partikelemissionen in anderen Mitgliedstaaten in vergleichbarer Weise gegeben.

- Eine Vorwegnahme der sowieso geplanten gemeinschaftlichen Maßnahmen könne auch nicht mit einem besonders akuten Problem in den Niederlanden begründet werden, denn es sei nicht nachgewiesen, dass die in den Niederlanden festgestellten Überschreitungen der gemeinschaftlichen Grenzwerte für die Partikelkonzentrationen im Vergleich zu den in anderen Mitgliedstaaten festgestellten Überschreitungen derart gravierend waren, dass sie ein spezifisches Problem darstellten.

III. Art. 176 EGV 1. Rs. C-203/96

In der Rs. C-203/9616 stand die Frage zur Debatte, ob das Autarkie- und Näheprinzip der Verbringung auch von zur Verwertung bestimmtem Abfall entgegen gehalten werden kann, dies obwohl diese Gründe in der VO 259/93 nicht als zulässige Einwendungsgründe für den konkreten Fall aufgeführt worden waren. Der EuGH verneinte diese Frage im Ergebnis, auch und gerade unter Rückgriff auf Art. 29 EGV, wobei aber nicht klar wird, ob er allgemein die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, unter Rückgriff auf Art. 176 EGV über die Anforderungen der hier einschlägigen Abfallverbringungsverordnung17 hinauszugehen, bejahen wollte oder nicht. Immerhin dürften die Formulierungen in Ziff. 35 ff. des Urteils aber darauf hindeuten, dass offenbar die Vereinbarkeit mit Art. 29 EGV – die dann auch geprüft wurde – entscheidend war,18 so dass der EuGH die zur Debatte stehenden nationalen Maßnahmen, die letztlich die in der Verordnung vorgesehenen Einwendungsmöglichkeiten erweitern, offenbar als strengere Maßnahmen im Sinne des Art. 176 EGV ansah. Im Übrigen legt das Urteil die Annahme nahe, dass sich das Erfordernis der Vereinbarkeit der betreffenden nationalen Maßnahme mit dem Vertrag nur auf das Primärrecht und nicht auf das (gesamte) Sekundärrecht bezieht.

15 EuG, Rs. T-182/06, Urteil vom 27.6.2007 – Niederlande/Kommission.

16 EuGH, Rs. C-203/96 (Dusseldorp), Slg. 1998, I-4075.

17 VO 259/93, ABl. 1993 L 30, 1. Diese Verordnung wurde inzwischen durch die VO 1013/2006, ABl. 2006 L 190, 1, abgelöst.

18 Ebenso wohl Gerd Winter, Die Steuerung grenzüberschreitender Abfallströme, DVBl. 2000, 657 (666).

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2. Rs. C-318/98

Zentrales Problem in der Rs. C-318/9819 war die Frage, ob die RL 91/689 über gefährliche Abfälle20 die Mitgliedstaaten daran hindert, andere bzw. zusätzliche Abfälle als die in der Richtlinie in Verbindung mit der einschlägigen Ausführungsgesetzgebung genannten als gefährlich einzustufen und damit verstärkte Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Der Gerichtshof bejaht diese Frage mit dem Hinweis darauf, dass mit den auf der Grundlage des Art. 175 EGV erlassenen Gemeinschaftsregelungen vor dem Hintergrund des Art. 176 EGV gerade keine

„vollständige Harmonisierung“ angestrebt werden, sondern die Mitgliedstaaten befugt seien,

„verstärkte Schutzmaßnahmen“ zu ergreifen.

3. Rs. C-6/03

In der Rs. C-6/0321 ging es – im Zusammenhang mit einer Genehmigung für den Betrieb einer Deponie – um Anwendung und Auslegung von Art. 176 EGV in Bezug auf die RL 1999/31 über Abfalldeponien22. Der EuGH stellte hier zunächst – in Anknüpfung an sein Urteil in der Rs. C-318/98 – fest, dass die in Art. 5 Abs. 1, 2 RL 1999/31 aufgestellten Anforderungen (so insbesondere die Zulassung von biologisch abbaubaren Abfällen zur Deponierung, die Fristen zur Verringerung der zur Deponierung bestimmten Abfälle sowie der Anwendungsbereich der Regelungen) nur Mindestanforderungen seien, so dass die Mitgliedstaaten hier strengere Regelungen vorsehen könnten; aus Art. 176 EGV folge, dass die Festlegung des Umfangs des zu erreichenden Schutzes den Mitgliedstaaten überlassen sei.

Der EuGH erachtete daher die Festlegung niedrigerer Grenzwerte für den organischen Anteil der erfassten Abfälle im nationalen Recht als verstärkte Schutzmaßnahme, dies unter Hinweis auf den Umstand, dass die nationale Maßnahme dasselbe Ziel wie die Richtlinie verfolge und damit dieselbe „Ausrichtung“ aufweise wie die Richtlinie. In Bezug auf die erfassten Abfälle ist noch hinzuzufügen, dass der EuGH offenbar davon ausgeht, dass die RL 1999/31 alle Abfälle erfasst, so dass der Richtlinie gerade nicht entnommen werden könne, dass andere als biologisch abbaubare Abfälle bewusst nicht geregelt seien und das (sekundäre) Gemeinschaftsrecht daher keine Anforderungen für andere Abfälle zulasse. Vielmehr sei die Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Mindestanforderungen des Art. 5 RL 1999/31 vor diesem Hintergrund eine strengere Maßnahme, wobei der EuGH auch hier darauf Bezug nimmt, dass die nationale Maßnahme dieselben Ziele wie die Richtlinie verfolge.

19 EuGH, Rs. C-318/98 (Fornasar), Slg. 2000, I-4785.

20 ABl. 1991 L 377, 20.

21 EuGH, Rs. C-6/03 (Deponiezweckverband Eiterköpfe), Slg. 2005, I-2753.

22 ABl. 1999 L 182, 1.

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Weiter seien die verstärkten Schutzmaßnahmen der Mitgliedstaaten – sofern keine anderen vertraglichen Bestimmungen betroffen sind – nicht auf ihre Verhältnismäßigkeit zu prüfen, dies im Gegensatz zu den bei der Durchführung der Mindestanforderungen ergriffenen Maßnahmen. Hintergrund dieser, auf den ersten Blick möglicherweise überraschend erscheinenden Feststellung dürfte der Umstand sein, dass die gemeinschaftlichen Grundrechte und rechtsstaatlichen Prinzipien für die Mitgliedstaaten nur insoweit zu beachten sind, als sie Gemeinschaftsrecht anwenden oder durchführen. Gerade diese Voraussetzung ist aber bei der Wahrnehmung der Befugnis, verstärkte Schutzmaßnahmen zu ergreifen, nicht gegeben, da die Mitgliedstaaten hier ausschließlich die ihnen verbleibenden Kompetenzen wahrnehmen; sie könnten dies aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht aber auch unterlassen und gar keine Regelung treffen, so dass in den Konstellationen, in denen verstärkte Schutzmaßnahmen getroffen werden, auch keine gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen zum Zuge kommen (können). Etwas anderes gelte nur dann, wenn andere vertragliche Vorschriften, etwa die Grundfreiheiten, betroffen seien; im Rahmen der Prüfung der Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit den Grundfreiheiten seien dann auch die gemeinschaftlichen Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen.

IV. Versuch einer Standortbestimmung der Auslegung der Art. 95 Abs. 4-6 EGV und des Art. 176 EGV: offene Fragen und Perspektiven

Im Folgenden geht es nun darum, auf der Grundlage der dargelegten Rechtsprechung eine Standortbestimmung im Hinblick auf die Frage zu versuchen, welche Auslegungsfragen der erörterten Bestimmungen nunmehr durch die Rechtsprechung (relativ „zweifelsfrei“) geklärt sind, wo nach wie vor offene Fragen bestehen sowie Perspektiven zu ihrer Beantwortung aufzuzeigen. Dabei ist zwischen Art. 95 Abs. 4-6 EGV und Art. 176 EGV zu trennen, wobei die bislang von der Rechtsprechung geklärten Aspekte im Zusammenhang mit einer Aufführung der sich aus dem Vertragstext ergebenden tatbestandlichen Voraussetzungen erfolgen soll.

1. Art. 95 Abs. 4-6 EGV23

a) Anwendungsbereich

23 Auf die rein verfahrensrechtlichen Aspekte des Art. 95 Abs. 6 wird im Folgenden nicht weiter eingegangen, da sie unproblematisch sind. Zu erörtern ist aber im Zusammenhang mit den materiellen Voraussetzungen der Art. 95 Abs. 4, 5 EGV die Prüfungsbefugnis der Kommission. Weiter wird im Folgenden vorausgesetzt, dass Art. 95 Abs. 4-6 EGV von allen Mitgliedstaaten, nicht nur denjenigen, die gegen die gemeinschaftliche Vorschrift gestimmt haben, geltend gemacht werden kann, was heute geklärt sein dürfte. Zum Problemkreis m.w.N. nur Astrid Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, 2.

Aufl., 2005, 137.

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Bevor auf die einzelnen Voraussetzungen der Heranziehung der Art. 95 Abs. 4, 5 EGV eingegangen wird, sei noch kurz auf die Problematik des Anwendungsbereichs der Vorschriften – die bislang in der Rechtsprechung noch nicht eigens problematisiert wurde – hingewiesen: Grundsätzlich ist zwar geklärt, dass diese Bestimmungen nur in Bezug auf solche Rechtsakte anwendbar sind, die auf Art. 95 Abs. 1 EGV gestützt wurden.24 Noch nicht beantwortet ist damit aber die Frage, wie in Bezug auf Rechtsakte, die auf zwei oder mehr Rechtsgrundlagen gestützt wurden, zu verfahren ist, eine Frage, die im Zuge der neueren Rechtsprechung des EuGH25 zu „Doppelabstützungen“ – die zwar die Ausnahme darstellen sollen, gleichwohl aber unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig erachtet werden – an Relevanz gewinnen dürfte. Im Ergebnis erscheint es hier sachgerecht, den Rückgriff auf Art.

95 Abs. 4-6 EGV in Bezug auf den gesamten Rechtsakt zuzulassen: Denn eine Doppelabstützung kommt ja gerade dann in Betracht, wenn ein Rechtsakt „gleichwertig“ und

„untrennbar“ zwei oder mehr Zielsetzungen verfolgt, so dass es in der Regel nicht möglich sein wird, seine Bestimmungen in der Form „aufzuteilen“, dass diejenigen Artikel, die auf Art. 95 Abs. 1 EGV hätten gestützt werden müssen, von denjenigen, für die eine andere Rechtsgrundlage einschlägig wäre, unterschieden werden. Im Übrigen trägt dieser Ansatz auch dem Anliegen der Rechtssicherheit und -klarheit Rechnung.

b) Art. 95 Abs. 4

Für die Heranziehung des Art. 95 Abs. 4 ist das Vorliegen folgender Voraussetzungen – deren genauer Aussagegehalt durch die Rechtsprechung bislang (nur) teilweise geklärt ist – notwendig:

- Die Beibehaltung nationaler Vorschriften muss auf bestimmten, abschließend aufgezählten Gründen (Umweltschutz, Schutz der Arbeitsumwelt oder wichtige Erfordernisse im Sinne des Art. 30 EGV) beruhen. Diese Voraussetzung ist in der bisherigen Rechtsprechung zwar erwähnt, aber noch nicht eigens problematisiert worden. Jedenfalls kann für die Auslegung der Begriffe an die einschlägige Rechtsprechung zu Art. 30 EGV bzw. zu den im Bereich der Arbeitsumwelt und des Umweltschutzes anwendbaren Rechtsgrundlagen angeknüpft werden.26

- Weiter muss der betreffende Mitgliedstaat die Beibehaltung der jeweiligen nationalen Vorschrift für erforderlich halten. Dies impliziert – wie der EuGH klargestellt hat – die

„Befugnis“ der Mitgliedstaaten, eine Gefahr für die erfassten Schutzgüter anders zu

24 Vgl. etwa Ludwig Krämer, EC Environmental Law, 6. Aufl., 2007, 142 f.; Richter, „Nationale Alleingänge“ (Fn. 2), 133.

25 Vgl. insbesondere EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), Slg. 2002, I-11453; EuGH, Rs. C- 338/01 (Kommission/Rat), Slg. 2004, I-4829; EuGH, Rs. C-94/03 (Kommission/Rat), Slg. 2006, I-1;

EuGH, Rs. C-178/03 (Kommission/Rat und EP), Slg. 2006, I-107.

26 Ausführlich zu den Gründen Richter, „Nationale Alleingänge“ (Fn. 2), 134 ff.

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bewerten als der Gemeinschaftsgesetzgeber dies in der Gemeinschaftsregelung getan hat, so dass die Mitgliedstaaten ein höheres Schutzniveau anlegen können und abweichende Bewertungen möglich sind.

- Allerdings hat der EuGH auch festgehalten, dass die Mitgliedstaaten nachzuweisen haben, dass die betreffenden nationalen Vorschriften ein höheres Schutzniveau gewährleisten und dass sie dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit27 genügen.28 Die bisherige (zugegebenermaßen spärliche) Rechtsprechung dürfte hier einen ausgesprochen strengen Maßstab anlegen: So seien jedenfalls im Bereich des Gesundheitsschutzes diese Voraussetzungen in der Regel immer schon dann zu verneinen, wenn die in Frage stehenden, durch eine nationale Regelung verbotenen Stoffe auch sonst nicht verwendet werden dürfen. Weiter hebt der EuGH zwar hervor, dass die spezifischen Voraussetzungen des Art. 95 Abs. 5 EGV im Rahmen des Art. 95 Abs. 4 EGV als solche keine Anwendung fänden; allerdings sei ihr Vorliegen auch im Rahmen des Art. 95 Abs. 4 EGV relevant, womit wohl auf die Verhältnismäßigkeit Bezug genommen wird, dürften diese Aussagen des Gerichtshofs doch den Schluss nahe legen, dass am ehesten in den Fällen, in denen die Voraussetzungen des Art. 95 Abs. 5 EGV vorliegen, auch die Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Anwendung des Art. 95 Abs. 4 EGV anzunehmen ist.29 Ganz allgemein bleibt in der Rechtsprechung im Übrigen ungeklärt, wie weit der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten hier ausfallen soll, wenn sie auch – im Rahmen der „Beweislast“ und der Prüfung der Verhältnismäßigkeit – eher dazu neigen dürfte, diesen sehr eng auszugestalten.30

Diese Tendenz der Rechtsprechung – wobei sie sich bislang in erster Linie auf den Gesundheitsschutz bezog – ist jedenfalls im Bereich des Umweltschutzes nicht in jeder Hinsicht überzeugend, wenn es auch – selbstverständlich – zutreffend ist, dass die mitgliedstaatlichen Maßnahmen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen müssen: Zunächst sei darauf hingewiesen, dass es bei umweltpolitischen Maßnahmen ausreichend sein muss, dass die jeweilige Maßnahme einen Beitrag zur Lösung des jeweiligen umweltpolitischen Beitrags leistet. Weiter ist ganz grundsätzlich darauf hinzuweisen, dass – wie der EuGH an sich zutreffend hervorhebt – Art. 95 Abs. 4 EGV

27 Daneben dürfte dem Erfordernis dass die nationale Maßnahme kein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung und keine verschleierte Beschränkung des Handels darstellen darf (vgl. Art. 95 Abs. 6 UAbs. 1 EGV) keine eigenständige Bedeutung zukommen. Vgl. Epiney, Umweltrecht (Fn. 22), 137. S.

auch die Kritik an dieser Bestimmung bei de Sadeleer, CMLRev. 2003 (Fn. 2), 889 (905 ff.); Kahl, in:

Kommentar zu EU- und EG-Vertrag (Fn. 1), Art. 95, Rn. 49.

28 EuGH, Rs. C-3/00 (Dänemark/Kommission, Slg. 2003, I-2643.

29 Vgl. in Bezug auf diesen Aspekt die Kritik an der konkreten Gewichtung dieses Aspekts in der Rechtsprechung Wenneras, EELR 2003 (Fn. 2), 169 (171), der zutreffend darauf hinweist, dass im Falle einer zu großen Berücksichtigung dieser Kriterien auch im Rahmen des Art. 95 Abs. 4 EGV der Grundsatz, dass eben weder ein spezifisches Problem noch neue wissenschaftliche Erkenntnisse in dieser Vorschrift vorausgesetzt werden, letztlich unterlaufen werden könne. Ausführlich zum Problemkreis m.w.N. Richter, „Nationale Alleingänge“ (Fn. 2), 145 ff.

30 S. insoweit auch die Kritik an der Rechtsprechung bei Wenneras, EELR 2003 (Fn. 2), 169 (172), der der Ansicht ist, der EUGH, stelle im Wesentlichen darauf ab, dass das gemeinschaftliche Schutzniveau nich hoch genug sei.

(11)

es den Mitgliedstaaten offenbar freistellt, eine andere (Gefahren-) Bewertung als der Gemeinschaftsgesetzgeber für seine nationalen Maßnahmen zugrundezulegen. Dann aber ist ihm im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ein gewisser Gestaltungsspielraum einzuräumen.31 Es bleibt zu hoffen, dass der EuGH seine Rechtsprechung in Bezug auf den Umweltschutz in diese Richtung weiterentwickelt.

c) Für Art. 95 Abs. 5

Für die Einschlägigkeit des Art. 95 Abs. 5 EGV sind folgende materielle32 Voraussetzungen33 entscheidend:

- Erstens muss es um Gründe des Umweltschutzes oder des Schutzes der Arbeitsumwelt gehen, eine Voraussetzung, die in der bisherigen Rechtsprechung auch im Rahmen des Art. 95 Abs. 5 EGV noch nicht wirklich problematisiert wurde. Somit ist auch hier noch ungeklärt, inwieweit den Mitgliedstaaten hier ein Gestaltungsspielraum zusteht. Im Ergebnis dürfte hier zu unterscheiden sein: Soweit es um die Frage geht, ob ein bestimmtes Ziel tatsächlich dem Umweltschutz oder dem Schutz der Arbeitsumwelt zuzuordnen ist, steht den Mitgliedstaaten keinerlei Gestaltungsspielraum zu, da es hier um die Frage der Auslegung eines gemeinschaftsrechtlichen Begriffs geht. Soweit es allerdings die Frage zur Debatte steht, ob tatsächlich eine Gefährdung der Umwelt oder der Qualität der Arbeitsumwelt gegeben ist, dürfte den Mitgliedstaaten – ebenso wie bei der Frage der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme – ein gewisser Gestaltungsspielraum einzuräumen sein, dies auch und gerade vor dem Hintergrund, dass es Art. 95 Abs. 5 EGV den Mitgliedstaaten ermöglichen soll, in Bezug auf das Niveau des anzulegenden Schutzes eine andere Einschätzung als der Gemeinschaftsgesetzgeber zugrundezulegen.34

- Sodann muss sich die entsprechende Maßnahme auf „neue wissenschaftliche Erkenntnisse“ stützen. Auch die Auslegung dieser Voraussetzung wurde in der

31 Vgl. insoweit auch m.w.N. Kahl, in: Kommentar zu EU- und EG-Vertrag (Fn. 1), Art. 95, Rn. 46, der vom Grundsatz der autonomen nationalen Risikobewertung“ spricht und insbesondere im Rahmen der Erforderlichkeit einen weiten Gestaltungsspielraum einräumen will.

32 Hinzukommt, dass die Mitteilung der Gründe für die Einführung der besagten Maßnahme nach der Rechtsprechung eine Zulässigkeitsvoraussetzung für die Genehmigung der mitgliedstaatlichen Maßnahme durch die Kommission darstellt, vgl. EuGH, Rs. C-512/99 (Deutschland/Kommission), Slg.

2003, I-845, Ziff. 86 ff.

33 Zur Frage der Relevanz der Umweltprinzipien (insbesondere des Vorsorgeprinzips) im Rahmen der Anwendung des Art. 95 Abs. 5 EGV, die auch in den verb. Rs. T-366/03 und T-235/04 angesprochen wurde, die Ausführungen bei Astrid Epiney, Zur Auslegung des Art. 95 Abs. 5 EGV – Anmerkung zu verb. Rs. T-366/03 und T-235/04 -, NuR 2007, 111 (114).

34 S. im Übrigen zur Problematik der Einschränkung der im Rahmen des Art. 95 Abs. 5 EGV zulässigen Gründe im Vergleich zu Art. 95 Abs. 4 EGV m.w.N. Jans/von der Heide, Umweltrecht (Fn. 1), 143 f.;

Albin/Bär, NuR 1999 (Fn. 2), 185 (188); Hanna Sevenster, The Environmental Guarantee After Amsterdam: Does the Emperor have New Clothes?, YEEL 2000, 291 (301 f.); Richter, „Nationale Alleingänge“ (Fn. 2), 159 ff.

(12)

Rechtsprechung letztlich noch nicht eigens erörtert, denn in der Rs. C-3/00 wurde die Entscheidung der Kommission (in Bezug auf Nitrite und Nitrate) bereits deshalb für nichtig erklärt, weil die Kommission die entsprechenden Befunde des wissenschaftlichen Lebensmittelausschusses nicht berücksichtigt hatte, womit die Entscheidung bereits aus diesem Grund mit einem Fehler behaftet war, so dass sich die Frage nach der „Neuheit“ der wissenschaftlichen Erkenntnisse erübrigte. Auch das EuG ging nicht auf dieses Kriterium ein, da es in den verb. Rs. T-366/03 und T-235/04 bereits die Existenz eines „spezifischen Problems“ verneinte. Da bei der Frage, ab wann von der „Neuheit“ – die sich auf den Zeitpunkt des Erlasses des Gemeinschaftsrechtsakt bezieht – wissenschaftlicher Erkenntnisse auszugehen ist, beträchtliche Unsicherheiten auftreten (entwickeln sich wissenschaftliche Erkenntnisse doch typischerweise in kontinuierlichen Prozessen), sollte den Mitgliedstaaten auch hier ein gewisser Gestaltungsspielraum einzuräumen sein, so dass insbesondere nicht verlangt werden sollte, dass die Erkenntnisse unbestritten sind. Allerdings müssen sie wissenschaftlich belegt und damit fundiert sein.35 Diese Voraussetzung ist jedenfalls gegeben, wenn neue Stellungnahmen wissenschaftlicher Gremien zu vorliegen.36 Andererseits dürfte es den Mitgliedstaaten unbenommen sein, auch andere bzw. weitere Anhaltspunkte für das Vorliegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse vorzubringen. Insoweit ist das Urteil des EuG in den verb. Rs. T-366/03 und T-235/04 nicht ganz klar, wird hier doch relativ pauschal auf die Stellungnahme der EFSA37 zur Frage des Vorliegens eines spezifischen Umweltproblems in Oberösterreich verwiesen, die ihrerseits recht allgemein und ohne sich im Einzelnen mit der Ökologie, dem Ökolandbau und der Biodiversität auseinanderzusetzen zum Schluss kam, dass es in Oberösterreich kein einzigartiges Ökosystem und daher auch kein spezifisches Umweltproblem gebe. Mit der Frage, ob man aufgrund der besonderen Charakteristika des Alpenraums zu einem anderen Schluss kommen könnte, befassten sich weder die EFSA noch das Gericht wirklich.38 Allerdings ist damit noch keine Aussage darüber verbunden, ob nicht gleichwohl neue wissenschaftliche Erkenntnisse hätten bejaht werden können, da Österreich diesbezüglich kaum überzeugende Anhaltspunkte dargelegt hatte. Die „Beweislast“

dürfte damit auf der Grundlage der Rechtsprechung bei den Mitgliedstaaten liegen, was aber nichts daran ändert, dass diesen in diesem Rahmen – wie erwähnt – ein gewisser Gestaltungsspielraum eingeräumt werden sollte.

35 Ebenso etwa Sevenster, YEEL 2000 (Fn. 33), 291 (304); Albin/Bär, NuR 1999 (Fn. 2), 185 (187 f.);

Krämer, EC Environmental Law (Fn. 23), 139; Richter, „Nationale Alleingänge“ (Fn. 2), 177 ff.

36 Die Kommission stellt denn auch regelmäßig auf solche Stellungnahmen ab, vgl. etwa Kommission, Entscheidung 2003/1 v. 18.2.2002, ABl. 2003 L 72, Rn. 79. Zur Problematik der „faktischen Bindungswirkung“ solcher Stellungnahmen aufgrund des Ansatzes der Kommission Bücker/Schlacke, NVwZ 2004 (Fn. 1), 62 (65).

37 Europäische Lebensmittelbehörde, vgl. VO 178/2002, ABl. 2002 L 31, 1.

38 Vgl. auch die Kritik bei Christoph Palme, Bans on the Use of Genetically Modified Organisms (GMOs) – the Case of Upper Austria, JEEPL 2006, 22 (25 f.); Palme, NuR 2006 (Fn. 10), 76 (78).

(13)

- Drittens muss für die Umwelt des betreffenden Mitgliedstaats ein „spezifisches Problem“ bestehen.39 Das EuG geht dabei auch hier zunächst davon aus, dass der betreffende Mitgliedstaat das Vorliegen dieser Voraussetzung darzulegen hat.40 Darüber hinaus könnten die Formulierungen des EuG in den verb. Rs. T-366/03 und T-235/04 vor dem Hintergrund des Hinweises auf die auch in anderen Mitgliedstaaten bestehende kleinbetriebliche Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe darauf schließen lassen, dass ein besonderes Problem für einen Mitgliedstaat bzw. eine mitgliedstaatliche Region nur unter der Voraussetzung bestehen soll, dass dieses Problem sozusagen

„einzigartig“ und in keinem anderen Mitgliedstaat zu beobachten ist. Legte man diese Voraussetzung des Art. 95 Abs. 5 EGV jedoch so eng aus, so könnte diese Bestimmung fast nie zur Anwendung kommen. Im Übrigen widerspräche eine solche Sicht auch dem Anliegen des Art. 95 Abs. 5 EGV, bei Vorliegen besonderer Bedingungen ein Abweichen „nach oben“ zu erlauben, können solche besonderen Bedingungen doch auch in mehreren Mitgliedstaaten vorliegen. Abzustellen ist daher bei der Frage des Vorliegens eines „spezifischen Problems“ auf den Gemeinschaftsdurchschnitt.41 Immerhin schließt das Urteil diese Auslegung nicht aus, und im konkreten Fall ergab sich aus dem Vorbringen Österreichs auch nicht, dass eine solche Abweichung bestand.42

- Viertens muss das spezifische Umweltproblem nach Erlass der Harmonisierungsmaßnahme aufgetreten sein, eine Voraussetzung, die in der bisherigen Rechtsprechung noch nicht näher erörtert wurde. Hinzuweisen ist dabei darauf, dass es – insoweit in Präzisierung der Formulierung in Art. 95 Abs. 5 – nicht darauf ankommen kann, dass das Umweltproblem zum Zeitpunkt des Erlasses der

39 Wobei es – was in der Rechtsprechung aber bislang nicht ausdrücklich entschieden wurde – sich hierbei um Umwelt-, aber auch um sonstige Bedingungen handeln kann; entscheidend ist allein, dass darauf aufbauend ein spezifisches Umweltproblem entsteht, vgl. Albin/Bär, NuR 1999 (Fn. 2), 185 (189); s. auch Entscheidung der Kommission, ABL. 1999 L 329, 25.

40 Vgl. hierzu Kahl, ZUR 2006 (Fn. 2), 86 (87).

41 Spezifizität ist also nicht mit Exklusivität gleichzusetzen. Vgl. insoweit auch Entscheidung 2002/59, ABl.

2002 L 23, 376; aus der Literatur etwa Albin/Bär, NuR 1999 (Fn. 2), 185 (189); de Sadeleer, CMLRev.

2003 (Fn. 2), 889 (900 f.); Stefani Bär/Andreas Kraemer, European Environmental Policy after Amsterdam, JEL 1998, 315 (322). Daher dürfte darauf abzustellen sein, ob ein Problem in einem Mitgliedstaat besonders virulent ist. Die Entscheidung 2006/372, ABl. 2006 L 142, 16, in der es um eine niederländische Maßnahme ging, wonach die Emissionen von Dieselfahrzeugen im Vergleich zum Gemeinschaftsstandard zu reduzieren seien, dies aufgrund (auch nach Ansicht der Kommission) neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Gesundheitsschädlichkeit der von Dieselmotoren ausgestoßenen Partikel vermag vor diesem Hintergrund kaum zu überzeugen: Die Kommission lehnte eine Genehmigung ab, da kein spezifisches Umweltproblem bestehe. Es ist fraglich, ob sie hierbei tatsächlich hinreichend begründet hat, dass im Vergleich zum Gemeinschaftsdurchschnitt kein besonderes Problem besteht, zeichnen sich die Niederlande doch insbesondere durch eine sehr hohe Siedlungsdichte aus. S.

auf der anderen Seite aber auch Entscheidung 2002/570, ABl. 2002 L 23, 37, wo die Kommission es für ausreichend hielt, dass aufgrund der Grundwasservorräte und -nutzung in den Niederlanden ein spezifisches Problem bestehe.

42 Zu präzisieren ist weiter, dass sich die Spezifizität des Problems aus verschiedenen Gründen (z.B. solche wirtschaftlicher, sozialer, geographischer oder geologischer Natur) ergeben kann, wobei sie sich inhaltlich aber auf den Schutz der Umwelt (oder der Arbeitsumwelt) beziehen muss, vgl. Kahl, in:

Kommentar zu EU- und EG-Vertrag (Fn. 1), Art. 95, Rn. 56.

(14)

Harmonisierungsmaßnahme bereits bestand oder nicht, sondern darauf, ob es auf der Grundlage des wissenschaftlichen Kenntnisstandes hätte bekannt sein müssen.43

- Schließlich muss die nationale Maßnahme dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen, eine Anforderung, die bereits bei Art. 95 Abs. 4 EGV zum Zuge kommt.44

d) Zum „Ausnahmecharakter“ der Art. 95 Abs. 4, 5 EGV

Abschließend sei ganz grundsätzlich darauf hingewiesen, dass nach der hier vertretenen Ansicht nicht davon ausgegangen werden kann, dass Art. 95 Abs. 4, 5 EGV „Ausnahmen“

vom „Grundsatz“ der Abgeschlossenheit der gemeinschaftlichen Regelungen darstellten und insoweit eng auszulegen seien. Denn – ohne dass auf diesen Aspekt hier im Einzelnen eingegangen werden kann – im Vertrag finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Zielsetzung des Umweltschutzes grundsätzlich hinter derjenigen der Verwirklichung des Binnenmarktes zurücktreten müsse; vielmehr sind beide Zielsetzungen – auch und gerade auf der Grundlage von Art. 6, 95 Abs. 3 EGV – als gleichwertig anzusehen,45 was sich auch in der Auslegung der Art. 95 Abs. 4, 5 EGV widerspiegeln sollte. Zwar ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH nicht ausdrücklich ein anderer Ansatz; jedoch dürfte die Rechtsprechung insgesamt – wie gezeigt – über eine weitgehende Einschränkung des Gestaltungsspielraums der Mitgliedstaaten zu einer sehr engen Auslegung ihrer

„Alleingangsmöglichkeiten“ neigen, was bedauerlich ist.

2. Art. 176

In Bezug auf Art. 176 EGV dürften – im Vergleich zu Art. 95 Abs. 4, 5 EGV – die meisten Aspekte bzw. die Auslegung der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Einschlägigkeit der Bestimmung grundsätzlich geklärt sein:

- Die nationale Maßnahme muss mit dem Vertrag vereinbar sein. Aus der Rechtsprechung46 lässt sich dabei – zumindest implizit – ableiten, dass dabei gegen den jeweiligen Rechtsakt, auf den sich die Schutzmaßnahme bezieht, „verstoßen“ werden kann, so dass auf Art. 175 EGV gestützte47 Maßnahmen von Vornherein nur Mindeststandards verankern, so dass es nicht darauf ankommen kann, ob die jeweilige

43 Ähnlich Albin/Bär, NuR 1999 (Fn. 2), 185 (189).

44 S. bereits die Bemerkungen oben IV.1.b).

45 Vgl. insoweit auch die Bemerkungen bei Kahl, ZUR 2006 (Fn. 2), 86 (88). Ausführlich Kahl, in:

Kommentar zu EU- und EG-Vertrag (Fn. 1), Art. 95, Rn. 36

46 Insbesondere der Rs. C-203/96 (s.o. III.1.).

47 Ebenso wie bei Art. 95 Abs. 4, 5 EGV kann sich auch Art. 176 EGV von Vornherein nur auf solche Rechtsakte beziehen, die auf der Grundlage von Art. 175 EGV erlassen wurden (vgl. etwa Richter,

„Nationale Alleingänge“ (Fn. 2), 241, m.w.N.), wobei sich auch hier das Problem stellt, wie bei Doppelabstützungen vorgegangen werden sollte. Hierzu oben IV.1.a).

(15)

Maßnahme als abschließend anzusehen ist.48 Noch nicht durch den EuGH beantwortet ist damit aber die Frage, ob und inwieweit darüber hinaus mit dem Erfordernis der Vereinbarkeit mit dem Vertrag nur auf das Primärrecht oder auch auf das Sekundärrecht Bezug genommen wird. Da Art. 176 EGV nach dem Sinn und Zweck dieser Bestimmung nur auf die nach Art. 175 EGV erlassenen Rechtsakte zum Zuge kommt, spricht vieles dafür, dass die nationalen Maßnahmen zwar die nach Art. 175 EGV erlassenen, nicht aber die auf anderen Rechtsgrundlagen erlassenen Sekundärrechtsakte durchbrechen können, denn in Bezug auf diese existiert ja gerade keine Art. 176 EGV entsprechende Bestimmung, so dass sie nach dem Vertrag zu beachten sind und ihre Nichtbeachtung damit zu einer Unvereinbarkeit mit dem Vertrag im Sinne des Art. 176 EGV führte.

- Sodann muss die jeweilige nationale Maßnahme eine „Schutzverstärkung“ darstellen,49 so dass es um eine Überschreitung des gemeinschaftlichen Standards geht. Diese Voraussetzung impliziert aber darüber hinaus, dass nur „verstärkende“ Maßnahmen, nicht aber „andere“ Maßnahmen unter Art. 176 EGV fallen. In Bezug auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Maßnahme nun „schutzverstärkend“ in diesem Sinn ist, stellt der EuGH darauf ab, ob dieselben Ziele verfolgt werden und dieselbe

„Ausrichtung“ zu bejahen ist, was jedenfalls bei einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs von Richtlinien in der Regel gegeben sein dürfte.50 Allerdings sind damit noch nicht alle Abgrenzungsprobleme gelöst, wobei letztlich immer die Umstände des Einzelfalles maßgeblich sein werden. Angesichts des auch vom EuGH betonten Ziels des Art. 176 EGV, es den Mitgliedstaaten zu erlauben, unter den dort vorgesehenen Voraussetzungen einen höheren Schutzstandard anzulegen, spricht aber Vieles dafür, diese Anforderung nicht zu restriktiv zu verstehen. Vielmehr soll sie nur (aber immerhin) sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten mit verstärkten Schutzmaßnahmen die in den Gemeinschaftsrechtsakten vorgesehenen Konzepte und Schutzansätze nicht „unterwandern“. Daher dürfte immer schon dann eine Schutzverstärkung zu bejahen sein, wenn die Wirksamkeit des jeweiligen Gemeinschaftsrechtsakts durch die in Frage stehenden nationalen Maßnahmen nicht beeinträchtigt werden. Vor diesem Hintergrund dürfte Art. 176 EGV grundsätzlich sowohl eine Überschreitung des gemeinschaftlich vorgesehenen Schutzniveaus in quantitativer Hinsicht (also auf das Schutzniveau selbst abzielend) als auch in qualitativer (die Modalitäten betreffend) Hinsicht erlauben. Damit könnten also auch alternative Konzepte entwickelt werden, sofern diese in die gleiche Richtung wie die gemeinschaftlichen Regelung gehen (also in der Sprache des EuGH die gleichen Ziele

48 Vgl. bereits zur Frage der Auslegung des Erfordernisses der Vereinbarkeit mit dem Vertrag mit ausführlicher Begründung und weiteren Nachweisen zum Meinungsstand Epiney, Umweltrecht (Fn. 22), 142 f.

49 Wobei sich diese Frage an sich in paralleler Weise auch im Rahmen der Art. 95 Abs. 4, 5 EGV stellt, in diesem Rahmen aber in der Rechtsprechung noch nicht relevant geworden ist.

50 Vgl. hierzu insbesondere die Rs. C-6/03, oben III.3.

(16)

verfolgen und die gleiche Ausrichtung aufweisen) und nicht die „Hintertreibung“ des gemeinschaftlichen Ansatzes implizieren, so dass nicht verlangt werden sollte, dass die strengeren Maßnahmen „systemimmanent“ sein müssen.51

- Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass die mitgliedstaatlichen Maßnahmen nach der Rechtsprechung52 nicht allgemein dem gemeinschaftlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen müssen, sondern nur insoweit, als dieser aufgrund des Gemeinschaftsrechts einschlägig ist, insbesondere im Zuge der Maßgeblichkeit der Grundfreiheiten. Ergänzend – auch im Verhältnis zur Rechtsprechung des EuGH – ist aber darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit insoweit auch allgemein in Bezug auf nach Art. 176 EGV ergriffene Maßnahmen zum Zuge kommen muss, als es um die Frage geht, ob die Maßnahme tatsächlich dem Umweltschutz dient, geht es hier doch um das Vorliegen einer tatbestandlichen Voraussetzung des Art. 176 EGV.

In Bezug auf die Grundausrichtung des Art. 176 EGV betont der EuGH (zutreffenderweise), dass die ratio des Art. 176 EGV gerade darin bestehe, in allgemeiner Form die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, im Verhältnis zu dem in den auf Art. 176 EGV gestützten Gemeinschaftsrechtsakten vorgesehenen Standard einen verstärkte Schutzmaßnahmen zu ergreifen, zu verankern.

3. Schluss

Insgesamt harren demnach insbesondere im Rahmen des Art. 95 Abs. 4-6 EGV, aber auch teilweise im Rahmen des Art. 176 EGV, einige zentrale (Auslegungs-) Fragen dieser Bestimmungen einer Klärung durch den EuGH. Es bleibt zu hoffen, dass der Gerichtshof nicht nur die Gelegenheit wahrnimmt, diese Fragen zu erörtern, sondern auch, dass er (im Rahmen des Art. 95 EGV) seine sich in der bisherigen Rechtsprechung – wenn auch nicht ganz eindeutig – abzeichnende Tendenz zur Auslegung der Art. 95 Abs. 4-6 EGV als

„Ausnahmebestimmungen“ vor dem Hintergrund der Zielsetzungen des EG-Vertrages und insbesondere der grundsätzlichen „Gleichberechtigung“ der Zielsetzungen des Binnenmarktes einerseits und des Umweltschutzes andererseits reflektiert und im skizzierten Sinn relativiert, so dass der Akzent vermehrt auf einen Ausgleich beider Ziele, denn auf die „Durchsetzung“

des Binnenmarktgedankens gelegt würde.

51 So aber offenbar Cornelia Eberle, Die EG als Partei internationaler Umweltschutzabkommen: Fragen des Abschlusses von Übereinkommen und deren Implementierung, 2001, 104 f. Im Ergebnis ähnlich wie hier Christian Calliess,, in: Christian Calliess/Matthias Ruffert (Hrsg.), Kommentar zu EU- und EG-Vertrag, 3. Aufl., 2006, Art. 176, Rn. 7 f., m.w.N.

52 S. Rs. C-6/03, oben III.3.

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