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Autonome Auslegung und Rechtsvergleichung – (k)ein Widerspruch? – Zu Legitimität und Nutzen richterlicher Rechtsvergleichung im Allgemeinen und im (Einheitlichen) Kaufrecht im Besonderen

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Book Chapter

Reference

Autonome Auslegung und Rechtsvergleichung – (k)ein Widerspruch?

– Zu Legitimität und Nutzen richterlicher Rechtsvergleichung im Allgemeinen und im (Einheitlichen) Kaufrecht im Besonderen

KADNER GRAZIANO, Thomas

KADNER GRAZIANO, Thomas. Autonome Auslegung und Rechtsvergleichung – (k)ein

Widerspruch? – Zu Legitimität und Nutzen richterlicher Rechtsvergleichung im Allgemeinen und im (Einheitlichen) Kaufrecht im Besonderen. In: Uwe Blaurock/Felix Maultzsch. Einheitliches Kaufrecht und Vereinheitlichung der Rechtsanwendung . Baden-Baden : Nomos, 2017. p.

13-41

Available at:

http://archive-ouverte.unige.ch/unige:105823

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(2)

Blaurock/Maultzsch (Hrsg.) • Einheitliches Kaufrecht und Vereinheitlichung der Rechtsanwendung

Einheitliches Kaufrecht und

Vereinheitlichung der Rechtsanwendung

Uwe Blaurock/Felix Maultzsch (Hrsg.) Schriften der

Ernst von Caemmerer-Stiftung

9

9

Nomos

ISBN 978-3-8487-3492-4

(c) NOMOS Verlagsgesellschaft

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Band 9

(c) NOMOS Verlagsgesellschaft

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Einheitliches Kaufrecht und

Vereinheitlichung der Rechtsanwendung

Nomos

(c) NOMOS Verlagsgesellschaft

(5)

der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8487-3492-4 (Print) ISBN 978-3-8452-7850-6 (ePDF)

1. Auflage 2017

© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2017. Gedruckt in Deutschland. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

(c) NOMOS Verlagsgesellschaft

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Inhaltsverzeichnis

Uwe Blaurock

Vereinheitlichung der Rechtsanwendung:

Justiz – Schiedsgerichte – Gesetzgebung 9

Thomas Kadner Graziano

Autonome Auslegung und Rechtsvergleichung – (k)ein Widerspruch?

Zu Legitimität und Nutzen richterlicher Rechtsvergleichung im

Allgemeinen und im Einheitlichen Kaufrecht im Besonderen 13 Stefan Klingbeil

Diskussionsbericht zu dem Referat von Thomas Kadner Graziano 43 Franco Ferrari

»Heimwärts- und Auswärtsstreben« in der Rechtsprechung zum

UN-Kaufrecht 47 Burghard Piltz

Erfahrungen mit der einheitlichen und autonomen Anwendung des UN-Kaufrechts durch internationale Schiedsgerichte 95 Christopher Dassbach

Diskussionsbericht zu den Referaten von Franco Ferrari

und Burghard Piltz 115

Hannes Rösler

Das Desiderat einer horizontalen Auslegung in der Rechtsprechung der mitgliedstaatlichen Gerichte zum EU-Privatrecht 119 Stefan Klingbeil

Diskussionsbericht zu dem Referat von Hannes Rösler 139 Felix Maultzsch

Schlussbemerkungen: Übergreifende Aspekte der einheitlichen

Rechtsanwendung im internationalen Kaufrecht 143

Autorenverzeichnis 149

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13

Autonome Auslegung und Rechtsvergleichung – (k)ein Widerspruch?

Zu Legitimität und Nutzen richterlicher Rechtsvergleichung im Allgemeinen und im Einheitlichen Kaufrecht im Besonderen

Thomas Kadner Graziano

A. Einleitung

Der folgende Beitrag geht der Frage nach, ob es legitim ist, wenn sich die Gerichte bei Auslegung und Anwendung des Rechts im Allgemeinen sowie des (Einheitlichen) Kaufrechts (oder EKR) im Besonderen daran orientie- ren, wie ein Rechtsproblem in anderen Rechtsordnungen gelöst wird. Ist es ihnen gestattet, Inspiration aus den Erfahrungen zu beziehen, die mit be- stimmten Lösungen andernorts gewonnen wurden? Sofern dies zu bejahen ist, stellt sich die zweite, kaum weniger zentrale Frage, ob justizielle Rechtsvergleichung in einem Maße nützlich ist, das den erheblichen Auf- wand rechtfertigt, der mit Rechtsvergleichung oft verbunden ist.1 Im Hin- blick auf das Thema dieses Bandes ergibt sich schließlich eine weitere zent- rale Frage. Das EKR ist bekanntlich autonom, d.h. losgelöst von einem be- stimmten nationalen Recht und insbesondere vom Recht des Forums, aus- zulegen. Aus der Forderung nach autonomer Auslegung zieht die h.M. in der Literatur den Schluss, Rechtsvergleichung könne bei der Auslegung des EKR nicht oder bestenfalls beschränkt von Nutzen sein. Als drittes gilt es für das EKR daher zu betrachten, ob zwischen autonomer Auslegung und Rechtsvergleichung ein Widerspruch besteht bzw. ob das Bedürfnis nach ____________________

1 Zu diesem Thema im Allgemeinen Fairgrieve/Andenas (eds.), Courts and Compa- rative Law, Oxford 2015; J. Schmid/Morawa/Heckendorn Urscheler (Hrsg.), Die Rechtsvergleichung in der Rechtsprechung – Praxis, Legitimität und Methodik, Zürich 2014; sowie der Verf., Rechtsvergleichung vor Gericht – legitim, nützlich, praktikabel? RIW 2014, 473-487; ders., Is it legitimate and beneficial for judges to compare? in: Fairgrieve/Andenas (eds.), Courts and Comparative Law (diese Fn.), S. 25-53 = reprinted and extended version of the article: Is it Legitimate and Beneficial for Judges to Use Comparative Law? ERPL 2013, 687-716; in französischer Sprache: La comparaison judiciaire – Légitime, utile, praticable?

SZIER 2014, 579-617.

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autonomer Auslegung den Einsatz der vergleichenden Methode für das EKR gar ausschließt.

I. Rechtsvergleichung im Einheitlichen Kaufrecht – eine Begriffsklärung Im Kontext des Themas, dem dieser Band gewidmet ist, bedarf es zunächst der Klärung, was unter Rechtsvergleichung im Zusammenhang mit dem Einheitlichen Kaufrecht (EKR) überhaupt zu verstehen ist. Handelt es sich schon um Rechtsvergleichung, wenn die Auslegung des EKR in seinen Ver- tragsstaaten miteinander verglichen wird?

Rechtsvergleichung stellt Rechtsordnungen einander gegenüber, analy- siert deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede und vergleicht die Lösungs- wege und Lösungen, welche sie für bestimmte juristische Probleme bereit- halten. Rechtsvergleichung ist dagegen nicht der Vergleich der Anwendung ein- und desselben Rechts durch verschiedene Rechtsanwender, mögen diese auch in verschiedenen Rechtsordnungen agieren.2 Bei einem solchen Auslegungs- oder Anwendungsvergleich handelt es sich ebenso wenig um Rechtsvergleichung wie beim Vergleich der Anwendung z.B. des BGB etwa in Hessen, Bayern oder Berlin. Der Vergleich der Anwendung des EKR oder CISG in seinen Vertragsstaaten3 ist daher Gegenstand eines ei- genständigen Beitrages in diesem Band.4

In einer weiteren Hinsicht scheint Vorsicht geboten. Wie internationale Übereinkommen generell, so ist auch das EKR bekanntlich autonom auszu- legen. Es ist noch keine (oder bestenfalls eine unvollständige, schlimmsten- falls eine missbräuchliche) Rechtsvergleichung, wenn der Rechtsanwender bei der Analyse eines Problems eine Parallele zum eigenen international nicht vereinheitlichten Recht zieht, um letztendlich dessen Lösung statt der- jenigen des EKR anzuwenden.5 Um eine solche Flucht in ein international

____________________

2 Wie hier Ferrari, in: Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, 6. Aufl., 2013, CISG Art. 7 Rn. 40. – Anders W. Witz, in: Witz/Sal- ger/Lorenz, International Einheitliches Kaufrecht, 2. Aufl., 2016, Art. 7 Rn. 24;

Brunner, UN-Kaufrecht – CISG, Bern 2004, Art. 7 Rn. 5.

3 Zu den Herausforderungen, die mit einem solchen Auslegungsvergleich verbunden sind, z.B. Ferrari, in: Schlechtriem/Schwenzer (Fn.2), Art. 7, Rn. 18 ff.

4 Siehe hierzu den Beitrag von Franco Ferrari (in diesem Band).

5 Vgl. z.B. Gruber, in: MünchKomm zum BGB, 7. Aufl., 2016, CISG, Art. 38 Rn.

6: »es ist unzulässig, die zur Untersuchungs- und Rügeobliegenheit in § 377 HGB

(9)

15 nicht vereinheitlichtes nationales Kaufrecht, das dem Rechtsanwender eventuell besser bekannt ist, anstelle des EKR – unter dem methodischen Deckmantel von Rechtsvergleichung – soll es im Folgenden daher auch nicht gehen.6

Um Rechtsvergleichung handelt es sich dagegen, wenn bei einer Ausle- gungsfrage untersucht wird, wie ein Problem in anderen Rechtsordnungen und -systemen gelöst wird, und hieraus Inspiration bezogen wird für die Auslegung des anwendbaren Rechts, im vorliegenden Kontext insbeson- dere des EKR.

Die in den Vergleich einbezogenen Rechtsordnungen können bereits bei der Schaffung des EKR eine Rolle gespielt haben. Rechtsvergleichung er- folgt dann im Rahmen der historischen, eventuell auch der systematischen Auslegung des EKR. Oder sie stehen heute als moderne und eventuell al- ternative Rechtsordnungen neben dem EKR. Rechtsvergleichung erfolgt dann im Rahmen v.a. der teleologischen Interpretation des EKR, eventuell auch bei seiner Lückenfüllung.7

Rechtsvergleichung im Kaufrecht ist keine Einbahnstraße. Von Rechts- vergleichung sprechen wir daher natürlich auch dann, wenn das EKR als Quelle der Inspiration bei der Auslegung nationalen, international nicht ver- einheitlichten Kaufrechts dient, also etwa des BGB oder des schweizeri- schen Obligationenrechts.8

____________________

ergangene Rechtsprechung auf die Auslegung der Art. 38-40, 44 EKR zu übertra- gen. Auch insoweit gilt es, dem Grundsatz einer konventionsautonomen Ausle- gung besondere Beachtung zu schenken«.

6 Die Grenzziehung ist bisweilen delikat, siehe etwa den Fall Hilaturas Miel, S.L. v.

Republic of Iraq, US District Court, Southern District, New York, No. 06 CIV. 12, 20.08.2008, n° 14 (Rückgriff auf Vorschriften des UCC bei Auslegung des EKR):

»The CISG’s concept of ›fundamental breach‹ is consonant with the concept of

»contract terms which […] go to the essence of the agreement,« and thus section 2-614 is a useful guide in addressing the question of substitute performance under the CISG«.

7 Skeptisch zur Rechtsvergleichung mit Vorschriften nationaler Rechte, die funkti- onelle Äquivalente zu den Regelungen im EKR darstellen, und gegen die »Berück- sichtigung begriffsähnlicher faux amis aus nationalen Rechten« und auch gegen den vergleichenden »Rückgriff auf scheinbar parallele Regelungskonzepte … in internationalen Einheitsrechtstexten wie namentlich der PIIC, den PECL und dem CESL-Entwurf« z.B. Schroeter, in: Schlechtriem/Schwenzer (Fn.2), Art. 25 Rn.

12; W. Witz, in: Witz/Salger/Lorenz (Fn. 2), z.B. Art. 19 Rn. 3, siehe dann aber Rn.

16 a.E. (Vergleich mit dem deutschen Recht und Vorschlag zur entsprechenden Lösung nach EKR).

8 Dazu mit Beispiel unten, F.

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II. Fallbeispiel

Zur Illustration der weiteren Überlegungen soll ein praktisches Fallbeispiel dienen:

Bei Verhandlungen über einen internationalen Warenkaufvertrag verweisen Par- teien, die ihren Sitz in unterschiedlichen Vertragsstaaten des EKR haben (etwa Deutschland und der Schweiz), jeweils auf ihre eigenen AGB. Diese weichen in wichtigen Punkten voneinander ab. Ohne diese Abweichungen ausdrücklich zu the- matisieren, einigen sie sich im Übrigen und beginnen mit der Ausführung des Ver- trages. Später entsteht Streit und die Parteien berufen sich jeweils auf die eigenen, einander allerdings widersprechenden AGB.

Nach h.M. fällt die Frage, unter welchen Voraussetzungen AGB in einen internationalen Warenkaufvertrag Eingang finden und wie eine Kollision von AGB (ein sog. battle of forms) zu lösen ist, in den Geltungsbereich des EKR.9 Allerdings enthält das Übereinkommen keine ausdrückliche Rege- lung dieser Fragen. Es bedarf also der Auslegung und zwar namentlich sei- ner Vorschriften zum Vertragsschluss und insbesondere von Art. 19 des EKR. Die Frage, wie eine Kollision von AGB im Rahmen von Art. 19 zu lösen ist, ist in der Literatur umstritten.10 Eine offene Auslegungsfrage ist aber genau die Situation, in welcher Rechtsvergleichung bedeutsam werden kann. Stellt sich diese Auslegungsfrage vor Gericht, so fragt sich, ob dieses hierbei berücksichtigen und Inspiration daraus beziehen darf, wie z.B. ein battle of forms in anderen Rechtssystemen gelöst wird und welche Erfah- rungen mit den dort zu findenden Lösungen gemacht wurden. So gesehen unterscheidet sich Rechtsvergleichung durch die Gerichte bei der Anwen- dung des EKR nicht grundsätzlich von justizieller Rechtsvergleichung bei ____________________

9 Magnus, in: Staudinger, Kommentar zum BGB (CISG), Neubearbeitung, 2013, Art. 19 Rn. 20; Ferrari, in: Kröll/Mistelis/Viscasillas, UN Convention on the Inter- national Sale of Goods (CISG), 2011, Art. 19 Rn. 15; W. Witz, in: Witz/Salger/Lo- renz (Fn. 2), vor Art. 14-24 Rn. 10 ff., Art. 19 Rn. 3, 14; Farnsworth, in: Gals- ton/Smith, International Sales, New York 1984, 3. 4. 50. – Für kollidierende Rechtswahl- oder Gerichtsstandklauseln ist dies dagegen fraglich, da das EKR zwar auf internationale Kaufverträge Anwendung findet, seine Anwendung auf ei- nen eigenständigen Rechtswahlvertrag aber durchaus zweifelhaft ist. Siehe hierzu BGH, Urt. 25.03.2015 – VIII ZR 125/14, NJW 2015, 2584; Magnus, in: Staudin- ger (Fn. 9), Art. 11 Rn. 7; Schmidt-Kessel, in: Schlechtriem/Schwenzer (Fn. 2), Art. 11 Rn. 7.

10 Siehe z.B. Schroeter, in: Schlechtriem/Schwenzer (Fn. 2), Art. 19 Rn. 21 ff.; Fer- rari, in: Kröll/Mistelis/Viscasillas (Fn. 9), Art. 19 Rn. 15; W. Witz, in: Witz/Sal- ger/Lorenz (Fn. 2), Art. 19 Rn. 14 ff.

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17 der Anwendung international nicht vereinheitlichten nationalen Rechts.11 Damit sind wir mitten im Thema.

Zunächst wird kurz auf die Aktualität des Themas eingegangen (B.). Es folgen Überlegungen zu der Frage, ob es für den Richter legitim ist, sich bei der Auslegung nationalen Rechts neben den klassischen Auslegungsmetho- den auch der rechtsvergleichenden Methode zu bedienen (C.). Im Anschluss wird betrachtet, welchen Nutzen der Einsatz der vergleichenden Methode für den Richter haben kann (D.). Schließlich soll überlegt werden, ob und inwieweit die Ergebnisse der allgemeinen Überlegungen gerade für das grundsätzlich autonom auszulegende EKR und zur Lösung des Ausgangs- falles fruchtbar gemacht werden können (E.-G.).

B. Zur Aktualität der Frage

Vorab ein kurzer Blick auf die Aktualität des Themas: In den USA hat die Frage nach der Legitimität justizieller Rechtsvergleichung in den letzten Jahren zu einer intensiven, vielbeachteten und sehr kontrovers geführten Diskussion zwischen den Richtern am Supreme Court geführt. Vorläufiger Höhepunkt dieser Diskussion ist das soeben von Stephen Breyer, Richter am US Supreme Court, vorgelegte Buch The Court and the World, das ein flammendes Plädoyer für justizielle Rechtsvergleichung enthält.12 In der eu- ropäischen Rechtsprechung und Literatur wird die Legitimität justizieller Rechtsvergleichung dagegen noch immer recht wenig diskutiert. 13 Verglei- chen die Gerichte, so geschieht dies in aller Regel, ohne dass sie die Frage nach der Legitimität justizieller Rechtsvergleichung aufwerfen. Einzelne Stellungnahmen von Richtern im persönlichen Gespräch und eine zumin- dest zum Teil skeptische Haltung in der Anwaltschaft belegen allerdings, dass über die Legitimität richterlicher Rechtsvergleichung auch in Europa noch keineswegs Konsens herrscht. Ganz im Gegenteil hat die Diskussion ____________________

11 Hierzu noch näher unten, E.

12 Breyer, The Court and the World: American Law and the New Global Realities, New York 2015, insbesondere S. 236 ff., 253 ff., Nachw. zur Diskussion in den USA ibid., S. 238 insbesondere Fn. 11-15.

13 Vgl. den Befund von McCrudden, Oxford J. Leg. Stud. 2000, 499 (503): ein Thema

»relatively ignored in the theoretical literature«; Reed, Law Quarterly Review (LQR) 2008, 253 (259): Die Kontroverse zwischen Richtern am US Supreme Court im Hinblick auf die Legitimität von Rechtsvergleichung »has no parallel in the United Kingdom or elsewhere in the common law world«. Auch in den USA gilt die Problematik noch als »under-theorized«, so Hirschl, Am. J. Comp. L. 2005, 125. Siehe inzwischen aber z.B. Fairgrieve/Andenas (eds.) (Fn.1).

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in den USA auch diesseits des Atlantiks Zweifel geweckt, die zuvor kaum einmal ausdrücklich thematisiert worden waren.

C. Legitimität justizieller Rechtsvergleichung

I. Argumente gegen den Einsatz der vergleichenden Methode vor Gericht Gegen den Einsatz von Rechtsvergleichung bei der Auslegung nationalen Rechts wird eine ganze Reihe von Argumenten angeführt:14

Nach einem ersten Argument binden den Richter allein das nationale Recht, Gemeinschaftsrecht sowie im Inland geltendes internationales Recht. Allein der nationale und gegebenenfalls ein interregionaler oder in- ternationaler Gesetzgeber verfügten über die erforderliche demokratische Legitimation, um den Richter in seiner Entscheidung zu leiten. Ausländi- schem Recht, so heißt es, fehle es im Inland dagegen an dieser demokrati- schen Legitimation.15

____________________

14 Hierzu und zum Folgenden schon Kadner Graziano (Fn. 1). Siehe für eine nach- drückliche Stellungnahme gegen Rechtsvergleichung vor US-amerikanischen Bundesgerichten Scalia, Keynote address: Foreign legal authority in the Federal courts, in: American Society of International Law, Proceedings of the 101st An- nual Meeting (American Society of International Law), Vol. 98 (2004), 305; auch in: www.jstor.org/pss/25659941 (zuletzt konsultiert am 18.03.2017).

15 Siehe z.B. Scalia, Commentary, 40 Saint Louis Univ. L. J. (2006) 1119 (1122):

»[We] judges of the American democracies are servants of our peoples, sworn to apply […] the laws that those peoples deem appropriate. We are not some interna- tional priesthood empowered to impose upon our free and independent citizen su- pra-national values that contradict their own«; in den USA wurde vereinzelt argu- mentiert, eine »unchecked comparative practice« sei »subversive of the whole con- cept of sovereignty«, Appropriate Role of Foreign Judgments in the Interpretation of American Law: Hearing on H.R. Res. 568 before the Subcomm. on the Consti- tution of the House Comm. on the Judiciary, 108th Cong., 2d Sess. 77 (2004) at 72 (testimony of Prof. Rabkin, Cornell Univ.); siehe auch die Bedenken von Young, Harv. L. Rev. 2005, 148 (163): »[I]mporting foreign law into the domestic legal system through constitutional interpretation circumvents the institutional mecha- nism by which the political branches ordinarily control the interaction between the domestic and the foreign«; Pfeffer, Saint Louis U. L. J. 2007, 855 (z.B. 879);

Larsen, Williamette L. Rev. 2009, 767 (z.B. 784).

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19 Zweitens berge eine Interpretation, die aus ausländischen Quellen Inspi- ration beziehe, die Gefahr, die Systematik des nationalen Rechts zu miss- achten, zu gefährden oder gar zu untergraben.16

Gemäß einem dritten Einwand sei jede gesetzliche Regelung und jede diese konkretisierende Auslegung durch die Rechtsprechung das Ergebnis einer Interessenabwägung, die notwendigerweise unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Gemeinwesens stattfinde, in dem die Entscheidung ihre Wirkung entfalte. Rechtsvergleichung berge die Gefahr, die eigene Werteordnung zu gefährden bzw. gar zu untergraben. In diesem Sinne führte Antonin Scalia, ein kürzlich verstorbener Richter am Supreme Court der USA, in einem Urteil zum US-amerikanischen Verfassungsrecht aus, der Blick auf ausländisches Recht sei bestenfalls bedeutungslos und schlimmstenfalls gefährlich.17

____________________

16 In diesem Sinne Scalia (vorige Fn.) ibid.

17 In Lawrence et al. v Texas 539 US 558 [2003] (zur Verfassungsmäßigkeit eines texanischen Gesetzes, das bestimmte sexuelle Handlungen zwischen Personen des- selben Geschlechts verbot; das Gesetz wurde wegen Verstoßes gegen die ‘Due Process Clause’ für verfassungswidrig erklärt), (598): »The Court's discussion of these foreign views (ignoring, of course, the many countries that have retained cri- minal prohibitions on sodomy) is therefore meaningless dicta. Dangerous dicta, however, since ›this Court … should not impose foreign moods, fads, or fashions on Americans.‹« Unter Hinweis auf den Fall Foster v Florida, 537 US 990 (2002) und Justice Thomas: »Justice Breyer has only added another foreign court to his list while still failing to ground support for his theory in any decision by an Amer- ican court. Id. (990). While Congress, as a legislature, may wish to consider the actions of other nations on any issue it likes, this Court’s Eighth Amendment ju- risprudence should not impose foreign moods, fads, or fashions on Americans«. S.

auch die Bedenken von Blum, San Diego L. Rev. 2002, 157 (163); Lucas, Virgina L. Rev. 2010, 1965; differenzierend Young, Harv. L. Rev. 2005, 148. – Dennoch hat der Supreme Court eine lange Tradition in Sachen Rechtsvergleichung, s. z.B.

Minow, Harv. Int. L. J. Online, 27.08.2010, I., m. zahlr. Nachw.: »[N]o one disa- grees that United States judges have long consulted and referred materials from other countries as well as international sources; yet for the past nine or so years, citing foreign and international sources provoked intense controversy«; Jackson, Harv. L. Rev. 2005, 110; Calabresi/Dotson-Zimdahl, William & Mary L. Rev.

2005, 743. Zur Debatte in den USA auch Barak, The Fulbright Convention, Janu- ary 29, 2006; Rosenfeld, in: Legrand (Dir.), Comparer les droits, résolument, Paris 2009, 561; Eisenberger, Journal für Rechtspolitik (JRP) 2010, 216 (217): »Rechts- vergleichung am SC ist beinahe so alt wie die Institution selbst. Ebenso alt wie die Rechtsvergleichungspraxis ist die Kritik daran«; zu den Argumenten der Gegner justizieller Vergleichung unlängst Breyer (Fn. 12) S. 239, 241 m.w.Nachw.

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In den letzten Jahren wurde viertens erneut betont, die Rechtswissen- schaft sei nach wie vor weitgehend eine nationale Wissenschaft.18

Um die rechtsvergleichende Methode korrekt anzuwenden, sei fünftens eine eingehende Kenntnis ausländischen Rechts erforderlich, über die der inländische Richter in der Regel nicht verfüge. Mangelnde Kenntnis aus- ländischen Rechts beschwöre die Gefahr von Irrtümern und Missverständ- nissen herauf.19 Hinzu kämen Sprachbarrieren, welche das Verständnis aus- ländischen Rechts zusätzlich erschwerten.20 Eine US-amerikanische Kolle- gin hat daher empfohlen, bei einem eventuellen Rechtsvergleich jedenfalls das, was sie als foreign language law bezeichnet, von vornherein unberück- sichtigt zu lassen.21 Auch habe die Richterschaft in der Regel schlicht nicht die Zeit und die Ressourcen, die für einen gründlichen Vergleich erforder- lich seien.22

In der US-amerikanischen Diskussion wird des Weiteren die Gefahr des cherry picking, d.h. selektiven Zitierens, beschworen. Für nahezu jede vom Gericht bevorzugte Auslegung ließe sich im Ausland Unterstützung finden.

____________________

18 Siehe etwa OLG Celle, NJW 2005, 2160 f. (zur Unzulässigkeit von Erfolgshono- raren im deutschen Recht).

19 Siehe zu diesem Argument auch Hondius,in: Büchler/Müller-Chen(Hrsg.), Fest- schrift für Schwenzer, Bd. 1, Bern 2011, 759 (769): »The high quality of the [for- eign] expert opinions is apparent from the reports on Dutch law. And yet … when reading the expert opinion on Dutch law, I sometimes know almost for certain that a Dutch court would decide differently now«; s. zu diesem Problem auch McCrud- den, Oxford J. Leg. Stud. 2000, 499 (526); Reed, L.Q.R. 2008, 253 (264); und unlängst Breyer (Fn. 12) S. 239 m.w.Nachw.

20 Reed, L.Q.R. 2008, 253 (264): »[M]any British judges (and counsel) are effectively monolingual, so that decisions must either come from an English-speaking juris- diction or be translated […]. [M]ost of the world’s case law is in reality inaccessi- ble to most British lawyers«; Young, Harv. L. Rev. 2005, 148 (166): Both decision costs and error costs »seem likely to be high for American courts dealing with foreign materials, given language and cultural barriers and most American law- yers’ lack of training in comparative analysis«.

21 Stapleton, Journal of Tort Law (J.T.L.) 2007, 6 (33). Sie verwendet den Begriff

»comparative foreign-language law«; dieses solle bei der Rechtsvergleichung un- beachtet bleiben: »[T]he general indifference of North American and Australian courts and practitioners to the tort law of foreign-language jurisdictions seems a wise response from inescapable phenomena. For them there is no more to be reli- ably derived from foreign-language jurisdictions than from English-speaking ones […]: moreover, there are added perils of misinterpretation«; auch veröffentlicht in:

Liber Amicorum Tom Bingham, Oxford 2009, 773.

22 Siehe das Beispiel von Hondius(Fn.19)S. 759 (773).

(15)

21 Abweichende Lösungen in anderen Rechtsordnungen würden dagegen nicht immer zitiert.23

Schließlich wurde bei der Diskussion im Rahmen der Tagung, auf wel- cher der vorliegende Band beruht, geltend gemacht, dass dann, wenn sich die rechtsvergleichende Auslegung als fünfte Auslegungsmethode etab- liere, der Gesichtspunkt der prozessualen Gerechtigkeit zu bedenken sei:

rechtsvergleichende Argumentation könne für die Parteien gelegentlich aufwändig und kostenintensiv sein, so dass diese Methode u.U. Parteien mit größeren finanziellen Ressourcen bevorteile. Werde das rechtsverglei- chende Argument eingesetzt, so könne für die Parteien ein Handlungsdruck entstehen, sich dieses Arguments auch zu bedienen. Greife das Gericht erst nach Abschluss der mündlichen Verhandlung im Rahmen seiner Beratun- gen auf rechtsvergleichende Recherchen zurück, so könne dies für die Par- teien schließlich mit Überraschungen verbunden sein.24

____________________

23 Scalia,98 Am. Soc’y Int’l L. Proc. 305 (308): »Adding foreign law […] is much like legislative history, which ordinarily contains something for everybody and can be used or not used, used in one part or in another, deemed controlling or pro- nounced inconclusive, depending upon the result the court wishes to reach. […]

The Court’s reliance has been selective as to when foreign law is consulted at all«;

sowie: »To invoke alien law when it agrees with one’s own thinking, and ignore it otherwise, is not reasoned decision making but sophistry«, dissenting opinion in:

Roper v Simmons, US S.Ct., 543 US 551 [2005], (627); krit. auch Chief Justice am US Supreme Court John Roberts: »Foreign law, you can find anything you want.

If you don’t find it in the decisions of France or Italy, it’s in the decisions of So- malia or Japan or Indonesia or wherever. As somebody said in another context, looking at foreign law for support is like looking over a crowd for support and picking out your friends. […] And that actually expands the discretion of the judge.

It allows the judge to incorporate his or her own personal preferences, cloak them with the authority of precedent […] and use that to determine the meaning of the Constitution«, in: US Senate Judiciary Committee, Hearing on the Nomination of John Roberts to be Chief Justice of the Supreme Court, Transcript, Day Two, Part III, September 13, 2005, in: http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/arti cle/2005/09/13/AR2005091301210.html (zuletzt konsultiert am 18.03.2017); s.

auch Posner, No thanks, we already have our own laws. Legal Affairs July/August 2004, in: http://www.legalaffairs.org/issues/July-August-2004/feature_posner_ju laug04.msp (zuletzt konsultiert am 18.03.2017). – Zur weiteren »Gefahr eines nose counting«, die von den Gegnern justizieller Vergleichung beschworen wird, Breyer (Fn. 12) S. 239.

24 So – trotz im Übrigen positiver Beurteilung von Rechtsvergleichung durch die Ge- richte – Axel Flessner in diesem Band, Diskussionsbericht, S. 45.

(16)

II. »Widening horizons« – Gegenargumente

Es stellt sich somit zum einen die Frage nach der Überzeugungskraft der genannten Argumente und zum anderen die Frage nach Argumenten für die Legitimität richterlicher Rechtsvergleichung.

Betreibt das Gericht Rechtsvergleichung, so sollte den Parteien in der Tat Gelegenheit gegeben werden, hierzu Stellung zu nehmen. Tatsächlich gilt es hier wie bei jeder anderen Methode, Überraschungen der Parteien zu ver- meiden.25 Ob und inwieweit die Fähigkeit, rechtsvergleichende Erkennt- nisse zu erlangen, auf einen kleinen Kreis von Spezialisten begrenzt bleibt und solche Erkenntnisse entsprechend kostspielig sind, hängt davon ab, in- wieweit die juristischen Fakultäten junge Juristen in den entsprechenden methodischen Fähigkeiten schulen. Hier wiederum gilt, dass sich Juristen heute kaum noch vor der Notwendigkeit verschließen können, den Blick (zumindest gelegentlich) über die Grenzen der eigenen Rechtsordnung hin- aus zu richten. Für die vergleichende Lehre gehen hiermit die Herausforde- rung (und die Notwendigkeit) einher, die Studierenden in der transnationa- len Perspektive und der einschlägigen Methodik zu schulen.26

Das Risiko selektiven Zitierens besteht auch im rein nationalen Rah- men.27 Zahlreiche Urteile belegen zudem, dass die Gerichte nicht nur dann vergleichen, wenn das Ergebnis nach ausländischem Recht mit demjenigen übereinstimmt, welches das Gericht bevorzugt. Viele Entscheide belegen ganz im Gegenteil, dass Gerichte ihre Vergleichsordnungen sorgfältig aus- wählen und nicht zögern, ausländisches Recht auch dann zu zitieren, wenn die dort vorgefundene Lösung von derjenigen abweicht, die das Gericht letztendlich bevorzugt.28

____________________

25 Gelangt das Gericht ausnahmsweise erst spät zu rechtsvergleichender Erkenntnis, so ist die mündliche Verhandlung unter Umständen wieder zu eröffnen oder den Parteien Gelegenheit zu geben, zumindest schriftlich Stellung zu nehmen.

26 Siehe hierzu die methodischen Vorschläge von Kadner Graziano, Rechtsverglei- chung lehren und lernen – Ein Vorschlag aus Genf, ZEuP 2014, 204; ders., A Mul- tilateral and Case Oriented Approach to the Teaching and Studying of Comparative Law – a proposal, ERPL 2015, 927.

27 Siehe schon Justice Breyer,Richter amUS Supreme Court, in: U.S. Association of Constitutional Law Discussion: Constitutional Relevance of Foreign Court Deci- sions (2005), Transcript by Federal News Service, Washington D.C., www.freerepublic.com/focus/f-news/1352357/posts (zuletzt konsultiert am 18.03.2017).

28 Näher unten, D. (viertens). Siehe auch die zahlreichen Nachw. bei Kadner Grazi- ano, RIW 2014, 473 (482 f.). Vgl. schon den Befund von Glensy, Virginia J. Int.

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23 Um Irrtümer und Missverständnisse beim Vergleich mit ausländischen Rechten zu vermeiden und um eine zuverlässige Basis für den Vergleich zu haben, müssen die Gerichte tatsächlich über verlässliche Informationen zum ausländischen Recht verfügen.29 Insoweit gilt: Wohl noch nie waren Informationen zum ausländischen Recht so gut zugänglich wie heute. Dazu haben zum einen zahlreiche rechtsvergleichende Zeitschriften und For- schungsnetzwerke beigetragen, unlängst insbesondere die Arbeiten und umfangreichen Veröffentlichungen zum Common Frame of Reference, und zum anderen natürlich das Internet. Rechtsvergleichende Erkenntnisse kön- nen im konkreten Fall auch von Rechtsanwälten oder Gerichtsreferendaren, die in der Vergleichung geschult sind, in das Verfahren eingebracht werden.

Hein Kötz hat zwar treffend bemerkt, Rechtsanwälte seien »sich offenbar noch nicht genügend des Umstands bewusst, dass ein für ihre Mandanten günstiger Rechtsstandpunkt sich in vielen Fällen auf rechtsvergleichende Argumente stützen lässt«.30 Hier liegt es aber wiederum an der rechtsver- gleichenden Lehre, dieses Bewusstsein zu wecken und die nächste Genera- tion von Praktikern in den methodischen Fähigkeiten zu schulen, die für eine aktive Rechtsvergleichung notwendig sind.31 Was das Gebiet betrifft, ____________________

L. 2005, 358 (ausführlich 401 ff.); McCrudden, Oxford J. Leg. Stud. 2000, 499 (517): »[T]here are also increasing numbers of judges in particular jurisdictions who appear to consider it important to distinguish judgments of foreign courts if they go against the conclusions that the judge intends to reach«.

29 McCrudden, Oxford J. Leg. Stud. 2000, 499 (527): »(in general) a judge or court in one jurisdiction will not use case law from another jurisdiction unless it is con- sidered to be comparable, and unless the judge or court feels adequately informed about the other jurisdiction«. S. auch Bingham, Widening Horizons – The influ- ence of comparative law and international law on domestic law, Cambridge 2010, S. 4 f. Er erinnert auch daran, dass »few human activities are free from the risk of error and judicial decision-making is no exception«. Zur Diskussion in den USA siehe Justice Ruth Bader Ginsburg, Cambridge L. J. 2005, 575 (580): »[W]e should approach foreign legal materials with sensitivity to our differences, deficiencies, and imperfect understanding, but imperfection, I believe, should not lead us to abandon the effort to learn what we can from the experience and good thinking foreign sources may convey«.

30 JZ 2001, 257 (259); siehe auch Hondius(Fn. 19), 759 (777); siehe für England z.B.

Lord Steyn, Public Law 1999, 51 (58): »Law Lords expect a high standard of re- search and interpretation from barristers. […] For example, if the appeal involves a statutory offence we would expect counsel to be familiar with […] comparative material from, say, Australia and New Zealand […]«. Das Deutsche Anwaltsinsti- tut (DAI) versucht dem im Rahmen seiner Fachanwaltsausbildung zum internatio- nalen Wirtschaftsrecht durch Aufnahme der Rechtsvergleichung in das obligatori- sche Lehrprogramm abzuhelfen.

31 Siehe hierzu die Vorschläge des Verf. (Fn. 26).

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das den Gegenstand dieses Bandes bildet, gilt: kaum ein Gebiet ist rechts- vergleichend so gut erschlossen wie das Kaufrecht.

In grenzüberschreitenden Fallkonstellationen kann der Richter nach sei- nem Internationalen Privatrecht (IPR) sogar verpflichtet sein, den Fall ganz und gar nach ausländischem Recht zu lösen. Die Existenz von IPR belegt eindrücklich, dass die Gesetzgeber es durchaus für möglich halten, dass sich Gerichte zuverlässig über den Inhalt ausländischen Rechts informieren.

Es versteht sich von selbst, dass Gerichte und Rechtsanwälte nicht in je- dem Verfahren auf rechtsvergleichende Erkenntnisse zurückgreifen kön- nen. Dies gilt jedoch gleichermaßen für die anderen Auslegungsmethoden.

Während die grammatikalische und die teleologische Auslegung wohl in nahezu jedem Fall zur Verfügung stehen, gilt dies nicht in gleichem Maße für die historische und die systematische Auslegung. Wie die vergleichende Methode, so versprechen auch diese Auslegungsmethoden für manche Aus- legungsfragen einen Erkenntnisgewinn, für andere dagegen nicht.

Auch das Argument, die Rechtswissenschaft sei eine weitgehend natio- nale Wissenschaft, überzeugt nicht. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist eine immer stärkere Internationalisierung bzw. Re-Internationalisierung der Rechtswissenschaft zu konstatieren. Ewoud Hondius hat hierzu prägnant angemerkt: »It has been suggested that, if one wishes to consider legal re- search a science, [focusing exclusively on domestic developments] is the wrong attitude. Science knows no borders, and legal science is no excep- tion«.32

Das Argument, die Auslegung nationalen Rechts erfolge zwangsläufig in einem rein nationalen Kontext, kann ebenfalls nicht überzeugen. Es über- sieht die Existenz grenzüberschreitend anerkannter Vorstellungen von Ge- rechtigkeit. Lösungsmodelle werden heute zunehmend europaweit disku- tiert bzw. zirkulieren gar weltweit. Der weltweite Einfluss von EKR und UNIDROIT Prinzipien sind hierfür die wohl prominentesten Beispiele.

Aufgrund gemeinsamer Werte bedienen sich bekanntlich auch die Gesetz- geber bei allen größeren Gesetzgebungsvorhaben der vergleichenden Me- thode, so jedenfalls im Privat- und zunehmend auch im Verfassungsrecht.

Bezieht aber der Gesetzgeber Inspiration aus ausländischen Rechten, weil er eine gemeinsame Rechtsüberzeugung ausgemacht hat, die über die Gren- zen hinaus geteilt wird, so kann ihm der Richter hierin bei der Auslegung des Rechts folgen.33

____________________

32 Hondius (Fn. 19), 759 (765).

33 Ausf. m. Bsp. Kadner Graziano, RIW 2014, 473 (477 ff.).

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25 Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat wiederholt festgehalten, dass dem Richter nicht vorgegeben ist, wie er im Einzelnen zu seiner Er- kenntnis gelangt. In Urteilen aus den 1990er Jahren heißt es: »Artikel 20 III GG verpflichtet die Gerichte, »nach Gesetz und Recht«34 zu entscheiden.

Eine bestimmte Auslegungsmethode (oder gar eine reine Wortinterpreta- tion) schreibt die Verfassung nicht vor.«35 Sowie: »[D]ie Gerichte [sind]

nur dem Gesetz unterworfen und [müssen] bei der Auslegung und Anwen- dung von Normen weder einer vorherrschenden Meinung folgen noch den von einem übergeordneten Gericht vertretenen Standpunkt zugrunde legen […], sondern [können] ihre eigene Rechtsauffassung vertreten […]. Mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Gebundenheit des Richters an Ge- setz und Recht (Art. 20 III GG) verlangt das Willkürverbot, dass die eigene Auffassung begründet wird. […] [J]edenfalls muss die Begründung erken- nen lassen, dass das Gericht sich mit einer Rechtslage eingehend auseinan- dergesetzt hat; außerdem darf seine Auffassung nicht eines sachlichen Grundes entbehren.«36

Im Hinblick auf die Rechtsvergleichung hielt das Bundesverfassungsge- richt bereits im Jahre 1953 fest, dass sich die Gerichte bei der Rechtsanwen- dung »der Interpretation und Lückenfüllung, unter Verwertung auch der rechtsvergleichenden Methode« bedienen.37

Die Gerichte verfügen mithin über eine beträchtliche Freiheit bei der Wahl ihrer Auslegungsmethoden. Sie sind, wie Axel Flessner prägnant for- muliert hat, in der Wahl ihrer Erkenntnismittel frei.38

Auch das Argument, Vergleichung bringe die Systematik des nationalen Rechts in Gefahr, überzeugt nicht. Rechtsvergleichung sollte, wie jede an- dere Methode auch, eine Auslegung bzw. Fortentwicklung des Rechts an- streben, die unter den in Betracht kommenden Lösungen die überzeu- gendste wählt – unter möglichst weitgehender Wahrung der nationalen Sys- tematik.39

____________________

34 Hervorhebungen hier und im Folgenden durch den Verf.

35 BVerfGE 88, 145 = NJW 1993, 2861 (2863).

36 BVerfG, NJW 1995, 2911.

37 BVerfGE 3, 225 (244).

38 Siehe hierzu auch die Diskussionen im Rahmen der Tagung, auf welcher dieser Band beruht, S. 43 ff.

39 In diesem Sinne z.B. auch Canivet,in:Canivet/Andenas/Fairgrieve(Hrsg.) Com- parative Law before the Courts, London 2005, 181 (183 ff.); Zweigert, RabelsZ 1949, 5 (16 ff.); Unberath,in:Canivet/Andenas/Fairgrieve(Hrsg.), 307 (316);

siehe aber Flessner,JZ 2002, 14: in einer Zeit der Renaissance eines gemeinsamen

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Selbstverständlich ist der Richter allein durch das im Gerichtsstaat gel- tende Recht gebunden. Die Autorität ausländischen Rechts ist daher auf seine Überzeugungskraft (persuasive authority) beschränkt.40 Der Wert rechtsvergleichend gewonnener Erkenntnisse liegt nicht in ihrer Bindungs- wirkung, sondern in ihrer Überzeugungskraft.

III. Zwischenergebnis

Damit lässt sich als Zwischenergebnis festhalten: Bei der Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts verfügen die Gerichte über ein erhebli- ches Maß an Freiheit bei der Wahl ihrer Inspirationsquellen und Erkennt- nismittel. Die Richterschaft ist in vielen Rechtsordnungen heute völlig zu Recht überzeugt davon, dass die Rechtsvergleichung zu den legitimen Me- thoden bei der Auslegung des nationalen Rechts zählt.41

In der aktuellen US-amerikanischen Diskussion äußerte Ruth Bader Ginsburg, Richterin am US Supreme Court in diesem Sinne: »The US judi- cial system will be poorer, I believe, if we do not both share our experience with, and learn from, legal systems with values and a commitment to de- mocracy similar to our own. […]«.42

Ihre Kollegin am US Supreme Court Sonia Sotomayor erklärte: »[T]o the extent that we have freedom of ideas, international law and foreign law

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europäischen Privatrechts sollte die systematische Auslegung nationalen Rechts an Bedeutung verlieren.

40 Siehe in der internationalen Diskussion statt aller Tripathi, Columbia L. Rev. 1957, 319 (346): »When a judge looks to foreign legal systems for analogies that shed light on any of the new cases before him, he is looking to legal material which he is absolutely free to reject unless it appeals to his reason«; Jackson, Harv. L. Rev.

2005, 110 (114): »Transnational sources are seen as interlocutors, offering a way of testing and understanding one’s own traditions and possibilities by examining them in the reflection of others’«; Parrish, U. Illinois L. Rev. 2007, 637 (674):

»Foreign law is persuasive authority: nothing more, nothing less« und Yeazell, Constitutional Commentary 2009, 59 (68): »[I]ts persuasiveness has nothing to do with its origin«.

41 Nachweise zahlreicher Urteile, in denen die Gerichte Rechtsvergleichung betrei- ben, bei Fairgrieve/Andenas (eds.), (Fn. 1); Kadner Graziano, RIW 2014, 473 (480 ff.); idem, ERPL 2013, 687 ff.

42 Ruth Bader Ginsburg, Cambridge L. J. 2005, 575 (576). Auch in: www.sup remecourt.gov/publicinfo/speeches/viewspeeches.aspx?Filename=sp_08-02-10.ht ml (July 30, 2010) (zuletzt konsultiert am 18.03.2017).

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27 will be very important in the discussion of how to think about the unsettled issues of our legal system«.43

Thomas Bingham, vormals Richter am House of Lords, gelangt zu dem Ergebnis: »Judicial horizons have widened and are widening«.44

D. Nutzen von Rechtsvergleichung vor Gericht

Ist Rechtsvergleichung mithin legitim, so stellt sich die weitere Frage, ob und inwieweit es für die Gerichte von Nutzen ist, sich der vergleichenden Methode zu bedienen. Rechtfertigt der Gewinn, der mit dem Einsatz der vergleichenden Methode verbunden ist, den Aufwand, den diese Methode erfordert?

Die Ziele, welche die Gerichte mit Rechtsvergleichung im Allgemeinen und im Kaufrecht im Besonderen verfolgen und der Nutzen, den die Ge- richte aus ihrem Einsatz beziehen, sind vielfältig.45

I. Erstens bedienen sich die Gerichte des Vergleichs in manchen Entschei- den um zu belegen, dass das eigene, nationale Recht im Einklang steht mit modernen internationalen Entwicklungen. Rechtsvergleichung dient hier der Verortung des eigenen Rechts im internationalen Kontext. In diesem Sinne findet Rechtsvergleichung zurzeit Einsatz z.B. in zentral- und osteu- ropäischen Rechtsordnungen, die ihr Recht kürzlich umfassend reformiert oder neu kodifiziert haben.46

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43 In: Steven Groves, Questions for Justice Sotomayor on the Use of Foreign and International Law, The Heritage Foundation, July 6, 2009, in: http://www.herit age.org/research/reports/2009/07/questions-for-judge-sotomayor-on-the-use-of-fo reign-and-international-law, note 12 and accompanying text [Transcript of Judge Sotomayor's April 2009 Speech to the American Civil Liberties Union of Puerto Rico] (zuletzt konsultiert am 18.03.2017).

44 Bingham (Fn. 29) S. 3.

45 Grundlegend Gerber, in: Schweizerisches Institut für Rechtsvergleichung (Hrsg.), Osmose zwischen Rechtsordnungen: Berichte des Kolloquiums anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung, Zü- rich 1992, 141 (150 ff.) (»Gründe für das Heranziehen ausländischen Rechts«).

Ausführlich mit zahlreichen Bsp. Kadner Graziano, RIW 2014, 473 (481 ff.); i- dem, in: Fairgrieve/Andenas (eds.), (Fn. 1), S. 25 ff.

46 So verwies z.B. der Oberste Gerichtshof Litauens in den letzten Jahren in 20 Ur- teilen auf die UNIDROIT Principles on International Commercial Contracts, in 11 Fällen auf die Principles of European Contract Law, in einem Fall auf den Draft Common Frame of Reference und in drei Fällen ausdrücklich sowie in einer Reihe

(22)

II. Die Gerichte nehmen bei der Interpretation des eigenen Rechts zweitens oft auf ausländisches Recht oder rechtsvergleichend erarbeitete Regelwerke Bezug, die für den Gesetzgeber bei der Schaffung des nationalen Rechts als Inspirationsquelle gedient haben. Die vergleichende Methode ergänzt hier die historische Auslegung und erfüllt im Hinblick auf diese eine komple- mentäre Funktion.47

III. Die Gerichte bedienen sich der vergleichenden Methode drittens, um die Bandbreite der Lösungen zu ermitteln, die als Antwort auf ein juristi- sches Problem zur Verfügung stehen, oder um bestimmte Tendenzen bei der Lösung eines Problems aufzuspüren. Ein berühmtes Beispiel hierfür sind Urteile zur Haftung bei Verursachungszweifeln, so etwa der englische Fall Fairchild v. Glenhaven, bei dem es um die Haftung für Schäden durch As- best und Schwierigkeiten beim Kausalitätsnachweis ging. Das Gericht be- zog hier mehr als zehn Rechtsordnungen in den Vergleich ein.48 Rechtsver- gleichung weitet so den juristischen Horizont und vervollständigt das Spektrum möglicher Auslegungen und Lösungen, die dem Gericht zur Be- wältigung des jeweiligen Problems zur Verfügung stehen.49 Indem sich die

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weiterer Fälle implizit auf die Principles of European Tort Law, dazu Selelionyte- Drukteiniene/Jurkevicius/Kadner Graziano, ERPL 2013, 959 m. Nachw.;

McCrudden, Oxford J. Leg. Stud. 2000, 499 (518), konstatiert einen »pedagogical impulse« bei justizieller Rechtsvergleichung; Slaughter, U. Richmond L. Rev.

1994, 99 (134): »The court of a fledgling democracy, for instance, might look to the opinions of courts in older and more established democracies as a way of bind- ing its country to this existing community of states«.

47 Vgl. Gerber (Fn. 45), S. 151. Siehe z.B. die deutschen Fälle BGHZ 21, 112 (119) und BGHZ 24, 214 (218 f.) oder die schweizerischen Entscheide BGE 40 II 249 (256); BGE 64 II 121 (129), sowie den Entscheid des BG vom 28.11.2006, BGE 133 III 257 (Papageienfall). – Siehe auch BGE 134, 497 (Erw. c. 4.2.3, 4.3, 4.4.2.):

schweizerisches Recht, namentlich Art. 418 des Obligationenrechts, hatte als In- spirationsquelle für Art. 89b des deutschen HGB gedient; das schweizerische Bun- desgericht bezog bei der Auslegung des Art. 418 OR wiederum Inspiration von der deutschen Rspr. und Lehre zu Art. 89b HGB.

48 [2003] 1 AC 32.

49 Siehe auch Scalia (Fn. 14), S. 309: »Adding foreign law to the box of available legal tools is enormously attractive to judges because it vastly increases the scope of their discretion«.

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29 Gerichte der Rechtsvergleichung bedienen, erhöhen sie die Qualität ihrer Entscheidungsbegründung.50

IV. Viertens verweisen die Gerichte nicht selten auf ausländische Lösungen, um sich dann ausdrücklich anders zu entscheiden. Man kann dies als Kon- trastfunktion der Rechtsvergleichung bezeichnen. Sie dient dann dazu, das Problembewusstsein zu schärfen und die Ziele und Besonderheiten des ei- genen nationalen Rechts hervorzuheben und zu unterstreichen.51 Beispiel- haft hierfür ist etwa ein Urteil des BGH zum Persönlichkeitsrecht und dem Schutz der Privatsphäre (»Caroline von Monaco«). Der BGH verwies auf französisches Recht und stellte dann fest, dass der Schutz der Privatsphäre im Verhältnis zur Pressefreiheit dort weiter reicht als nach deutscher Vor- stellung.52 In einem anderen Fall setzte sich das OLG Celle mit Erfolgsho- noraren nach US-amerikanischem Recht auseinander, um dann festzustel- len, dass diese mit der Rolle des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege im deutschen Recht nicht vereinbar sind.53

Auch die schweizerische Rechtsprechung bietet vielfältiges Anschau- ungsmaterial für die Kontrastfunktion der vergleichenden Methode. So ent- ____________________

50 Slaughter, Harv. Int. L. J. 2003, 191 (201): »For […] judges, looking abroad simply helps them to do a better job at home, in the sense that they can approach a particular problem more creatively or with greater insight. Foreign authority […]

provides a broader range of ideas and experience that makes for better, more re- flective opinions. This is the most frequent cited rationale advanced by judges re- garding the virtues of looking abroad«.

51 Vgl. Gerber (Fn. 45), 154; siehe aus der US-amerikanischen Diskussion stellvertr.

Jackson, Harv. L. Rev. 2005, 110 (117): »[C]omparison can shed light on the dis- tinctive functioning of one’s own system. […] [C]onsidering the questions other systems pose may sharpen understanding of how we are different«, (128):

»[E]ngagement with foreign law […] does not necessarily mean adoption, but thoughtful, well-informed consideration«; Minow, Harv. Int. L. J. Online, 27.08.2010, II.: »Looking at what others do may sharpen our sense of our differ- ences rather than produce a sense of pressure to conform«; Young, Harv. L. Rev.

2005, 148 (158): »If American courts were to conclude that only domestic practice is relevant, then their judges might feel pressure to distinguish American mores […] from the views they encounter on their European sabbaticals«.

52 BGHZ 131, 332: Der BGH bezieht Inspiration vom US-amerikanischen Recht (337) und setzt sich ab vom Rechtszustand in Frankreich (344). Siehe zu diesem Einsatz der vergleichenden Methode auch die schweizerischen Entscheide BGE 107 II 105 (111); BGE 99 IV 75 (76).

53 OLG Celle, NJW 2005, 2160. Siehe aber BVerfGE 117, 163 = NJW 2007, 979 (Erfolgshonorare unter bestimmten Umständen zulässig).

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schied das Bundesgericht etwa, anders als im deutschen Recht (das Bundes- gericht zitiert § 931 des BGB) könne Eigentum im schweizerischen Recht nicht durch Abtretung des Herausgabeanspruchs übertragen werden. Eine solche Übertragung sei nicht mit dem Traditions- und Publizitätsprinzip zu vereinbaren, denen im schweizerischen Recht größere Bedeutung beige- messen werde als im deutschen.54

In einem klassischen und aus deutscher Sicht ganz bemerkenswerten Ent- scheid setzte sich das Bundesgericht mit dem Abstraktionsprinzip auseinan- der. Die schweizerische Rechtsprechung hatte dieses zunächst aus dem deutschen Recht übernommen. Es analysierte die Rechtslage dann erneut und entschied, angesichts der Vorschriften zum Gutglaubenserwerb im schweizerischen Zivilrecht sei das Abstraktionsprinzip obsolet, ja schieße es beim Schutz eines Zweiterwerbers sogar über das Ziel hinaus. Das Bun- desgericht gab das Abstraktionsprinzip daher ausdrücklich auf und fordert für den Eigentumserwerb seither neben einer dinglichen Einigung und der Übertragung des Besitzes auch ein wirksames Grundgeschäft (beim Kauf also einen wirksamen Kaufvertrag).55

Diese und viele weitere Urteile widerlegen eindrucksvoll die These vom cherry picking. Die Gerichte zitieren ausländisches Recht vielmehr auch, um den Blick auf die Besonderheiten des eigenen Rechts zu schärfen, an- dere Wertungen und Gewichtungen des eigenen Rechts darzulegen, viel- leicht auch andere historische Entwicklungslinien zu betonen.56

V. Ausländische Regelungen und Lösungen sowie die Erfahrungen, die mit diesen gemacht wurden, werden von den Gerichten fünftens herangezogen, wenn es darum geht, die Folgen einer in Betracht gezogenen Lösung abzu- schätzen. Dies geschieht insbesondere, um dem Argument zu begegnen, eine bestimmte Lösung führe zu nicht mehr kontrollierbaren Folgen.57 ____________________

54 BGE 132 III 155 (Erw. c. 6.1.1 und 6.1.3): »Das deutsche Recht […] anerkennt die Abtretung des Herausgabeanspruchs als Ersatz für eine Übergabe. […] [Für das schweizerische Recht ist] festzuhalten, dass durch eine Abtretung des Herausga- beanspruchs das Eigentum an einer Fahrnissache nicht übertragen werden kann, da dies mit dem Traditionsprinzip nicht zu vereinbaren ist«.

55 BGE 55 II 302 (Grimm c. Masse en faillite Näf-Ackermann).

56 Vgl. McCrudden: »[A] use of foreign […] law does not mean that the approach taken in the other jurisdiction will necessarily be adopted, just that it is considered.

[…] Even where the result of the foreign judicial approach has not been adopted, it has often been influential in sharpening the understanding of the court’s view on domestic law«, Oxford J. Leg. Stud. 2000, 499 (512).

57 Fallbeispiele bei Kadner Graziano, RIW 2014, 473 (483 f.).

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31 Ein solcher Einsatz von Rechtsvergleichung wird selbst von denjenigen für legitim erachtet, die die vergleichende Methode im Übrigen äußert kri- tisch beurteilen, so etwa von Antonin Scalia, bis vor kurzem Richter am US- amerikanischen Supreme Court. Er schrieb hierzu:

»I suppose foreign statutory and judicial law can be consulted in assessing the ar- gument that a particular construction of an ambiguous provision in a federal statute would be disastrous. If foreign courts have long been applying precisely the rule argued against, and disaster has not ensued, unless there is some countervailing factor at work, the argument can safely be rejected«.58

VI. Sechstens bedienen sich die Gerichte der vergleichenden Methode, wenn es darum geht, eine nationale Rechtsprechung zu korrigieren, Lücken im eigenen Recht zu füllen oder auf neuartige Probleme zu reagieren. Der Hinweis auf einen ausländischen Rechtszustand belegt dann, dass die vom Gericht vertretene Lösung bereits andernorts als angemessen und gerecht empfunden und praktiziert wird, selbst wenn sich die dogmatische Kon- struktion von derjenigen des eigenen Rechts unterscheiden mag. Rechtsver- gleichung verleiht der vom Gericht getroffenen Wertentscheidung dann eine zusätzliche juristische Stütze und Legitimation.

Um einige Beispiele zu nennen: In zwei grundlegenden Urteilen führte der österreichische Oberste Gerichtshof um die Jahrtausendwende in einem ersten Schritt Schadensersatz und Schmerzensgeld für Schockschäden so- wie in einem zweiten Schritt ein Trauerschmerzensgeld für den Verlust oder die schwere Verletzung naher Angehöriger ein. Im Fall zum Trauerschmer- zensgeld verwies der OGH zur Unterstützung seiner Rechtsprechungsände- rung auf die Rechtslage in Frankreich, der Schweiz, Italien, Spanien, Schottland, Griechenland, im ehemaligen Jugoslawien, in Belgien und der Türkei.59 Beide Rechtsprechungsänderungen dürften nicht zuletzt von dem Wunsch beeinflusst worden sein, die Ausnahmestellung und Isolation des österreichischen Rechts in diesen Fragen aufzugeben.

In Deutschland fanden BGH und Bundesverfassungsgericht in frühen grundlegenden Urteilen zum zivilrechtlichen Schutz der Persönlichkeit ____________________

58 Scalia (Fn. 14), (306), siehe auch (307): »[T]he argument is sometimes made that a particular holding will be disastrous. Here […] I think it entirely proper to point out that other countries have long applied the same rule without disastrous conse- quences«.

59 OGH, ZVR 1995/46; OGH, JBl. 2001, 660 = ZEuP 2002, 834 m. Aufsatz Kadner Graziano.

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durch § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG argumentative Unterstüt- zung in ausländischen Rechten.60

In zahlreichen europäischen Rechtsordnungen sahen sich die Gerichte in den letzten Jahren erstmals mit der Frage konfrontiert, ob Eltern oder Kin- dern ein Schadensersatzanspruch gegen einen Arzt zustehen kann, der den Eltern Informationen vorenthielt, auf Grund derer die Geburt eines Kindes verhindert worden wäre. Diese Konstellationen werden unter den Schlag- worten Haftung für »wrongful life«, »wrongful birth« oder »wrongful preg- nancy« diskutiert. Sie haben in zahlreichen Rechtsordnungen zu Leitent- scheidungen geführt. In all diesen Entscheidungen stützten sich die Ge- richte auf rechtsvergleichende Überlegungen.

 So zitierte der BGH in seiner Leitentscheidung die Rechtslage in Eng- land und in den USA; sein Urteil wurde in die offizielle Entscheidungs- sammlung unter dem englischsprachigen Titel »wrongful life« aufge- nommen.61

 Das schweizerische Bundesgericht berief sich ausführlich und in langen Passagen auf die Rechtsprechung des BGH und des niederländischen Hoge Raad und verwarf gleichzeitig Differenzierungen, die sich in Ur- teilen des englischen House of Lords und des österreichischen OGH finden.62

 Das oberste Gericht der Niederlande, der Hoge Raad, erwog ausführ- lich die Rechtsprechung des BGH und beeinflusste seinerseits die schottische Rechtsprechung.63

 In Frankreich gingen dem Entscheid im berühmten Fall Perruche der Cour de Cassation rechtsvergleichende Untersuchungen zur Haftung für »wrongful life« und »wrongful birth« voraus.64

 Der österreichische Oberste Gerichtshof bezog Inspiration von der Rechtslage in Frankreich, Italien, Schottland und Dänemark, während

____________________

60 BGHZ 39, 124 (132); BGHZ 131, 332 (»Caroline de Monaco«): Hinweis auf US- amerikanisches Recht; BVerfGE 34, 269 (289, 291). Dazu Ehmann, in: Canaris et al. (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof: Festgabe aus der Wissenschaft, Band I, München 2000, 613 (628 Fn. 81, 640).

61 BGH (»wrongful life«), BGHZ 86, 240 (249-251).

62 BGE 132 III 359; dazu Essebier, ZEuP 2007, 888.

63 Näher Hondius(Fn. 19), 764.

64 Cour de Cassation, D. 2001, 332: Bericht des avocat général Pierre Sargos, JCP 2000 II N° 10438, S. 2302; Schlussfolgerungen des avocat général Jerry Sainte Rose, JCP 2000 II, N° 10438, 2308 ff.; dazu Canivet(Fn. 39), 190 ff.

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33 er sich in einzelnen Fragen ausdrücklich von der Rechtsprechung in Deutschland, den Niederlanden und Spanien distanzierte.65

VII. Die letztgenannten Entscheide schlagen die Brücke zur siebten Funk- tion justizieller Vergleichung. Indem die Gerichte mit den Lösungen ande- rer Rechtsordnungen vergleichen, ebnen sie den Weg für eine juristische Problemdiskussion aus wahrhaft europäischer oder darüber hinaus interna- tionaler Perspektive. Sie tragen so zur Entstehung einer internationalen Ge- meinschaft von Juristen bei, die zu einem wahrhaft europäischen, in Ein- zelfragen sogar weltweiten Diskurs befähigt ist.66

VIII. Last but not least und achtens mag es in einzelnen Fragen aufgrund der Überzeugungskraft der ausgetauschten Argumente zu einer »sanften Harmonisierung des Rechts« kommen. Rechtsvergleichung durch die Ge- richte kann in der Europäischen Union dann Handlungsdruck vom europä- ischen Gesetzgeber nehmen und Alternative sein zu legislatorischer Ver- einheitlichung.67

Wohl nur selten recherchieren die Gerichte ausländisches Recht selbst. Sehr viel häufiger stützen sich die Richter auf von Rechtsvergleichern erstellte Studien, Zeitschriftenbeiträge oder Informationen, die von den beteiligten ____________________

65 14.09.2006, 6 Ob 101/06f; siehe auch OGH 25.05.1999, 1Ob 91/99k (Vergleich mit deutschem Recht).

66 Prägnant C. Witz, Recueil Dalloz 2000, Chroniques, 79 (81); was den Rechtsver- gleich zu Fragen der Grund- und Menschenrechte betrifft, spricht Slaughter, U.

Richmond L. Rev. 1994, 99 (121 f.), von »courts around the world in colloquy with each other«; für einzelne verfassungsrechtliche Fragen konstatiert sie als Er- gebnis des vergleichenden Diskurses eine »constitutional cross-fertilization« so- wie eine »emerging gobal jurisprudence«, in: Harv. Int. L. J. 2003, 191 (193), so- wie (202): »The practice of citing foreign decisions reflects a spirit of genuine transjudicial deliberation within an newly self-conscious transnational commu- nity«.

67 Siehe z.B. Lord Browne-Wilkinson im Fall Cheah v Equiticorp Finance Group Ltd [1992] 1 AC 472, [1991] 4 All ER 989: »It is manifestly desirable that the law on this subject should be the same in all common law jurisdictions«; Attorney Gen- eral v Sport Newspapers Ltd [1992] 1 All ER 503 (High Court, Queen’s Bench Div.); Smith v Bank of Scotland [1997] SC 111 (120) (House of Lords); Slaughter, Harv. Int. L. J. 2003, 191 (202): »Increasing cross-fertilization of ideas and prece- dents among constitutional judges around the world is gradually giving rise to a visible international consensus on various issues – a consensus that, in turn, carries compelling weight«.

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Rechtsanwälten in das Verfahren eingebracht werden.68 Hier liegt es an der rechtsvergleichenden Forschung, Impulse zu geben und die nötigen Infor- mationen aufzubereiten, die den Gerichten dann den Rechtsvergleich erlau- ben.

Die weit verbreitete Überzeugung in der Richterschaft von der Legitimi- tät und der Nützlichkeit justizieller Rechtsvergleichung, die in den erwähn- ten und vielen anderen Urteilen zum Ausdruck kommt, ist nach alledem wohl begründet.69

E. Justizielle Rechtsvergleichung und Einheitliches Kaufrecht: Überlegun- gen anhand der Fallstudie

Das Potential, das rechtsvergleichende Auslegung durch die Gerichte ge- rade für das Einheitliche Kaufrecht haben kann, lässt sich anhand des ein- gangs eingeführten Beispielsfalles illustrieren. Der Fall wirft die Frage auf, wie ein sog. battle of forms für einen internationalen Kaufvertrag im Gel- tungsbereich des EKR zu entscheiden ist. Ausgangspunkt ist Art. 19 Abs. 1 und 2 des EKR. Hiernach ist

»[e]ine Antwort auf ein Angebot, die eine Annahme darstellen soll, aber [wesentli- che] Ergänzungen, Einschränkungen oder sonstige Änderungen enthält, […] eine Ablehnung des Angebotes und stellt ein Gegenangebot dar.«

Finden sich solche Änderungen in den AGB der Partei, welche die An- nahme erklärt, so stellt die Annahmeerklärung nach dem Wortlaut von Art.

19 grundsätzlich ein neues Angebot dar, das wiederum der Annahme be- darf. Nach dem Wortlaut des Art. 19 liegt es daher nahe, einen battle of

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68 So z.B. ausdrücklich Lordrichter Goff of Chieveleyim Fall White v Jones: »[I]n the present case, thanks to material published in our language by distinguished com- paratists, German as well as English, we have direct access to publications which should sufficiently dispel our ignorance of German law and so by comparison il- luminate our understanding of our own«, [1995] 2 AC 207; 1 All ER 691 (705) (House of Lords); vgl. auch McCrudden: »where lawyers appearing before the courts, or clerks assisting the judge, give the judge confidence, then the decisions of foreign systems are more likely to be cited«, Oxford J. Leg. Stud. 2000, 499 (526).

69 Siehe auch die Beiträge in Fairgrieve/Andenas (eds.), Courts and Comparative Law (Fn. 1).

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