25 1
Wolfgang MAGER, Zur Entstehung des modernen Staatsbegriffs . Aka-demie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz . Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse, Jahrgang 1968 , Nr . 9 . 1o6 S ., DM 16,6o .
Der Begriff ,, Staat " (stato, state, état usw.), in dem Staatsgewalt , Volk und Gebiet zu einer höchsten, mit Souveränität ausgestattete n politischen Einheit zusammengefaßt sind, ist ein Terminus der
252
Neuzeit . Das gilt gleichermaßen für Wort und Begriff . Die Staats-gebilde der Antike und des Mittelalters waren ihrem Wesen nac h von anderer Art, und sie sind zu ihrer Zeit anders bezeichnet worden . Im Lateinischen waren res publica, regnum, imperium, civitas di e gebräuchlichsten Termini . Status taucht innerhalb dieses Wortfelde s zwar schon bei Cicero auf, erhält aber erst bei Tertullian und bei Orosius einen Inhalt, der dem Begriff Staat (im weiteren, noch nicht im modernen Sinn) einigermaßen entspricht .
Der spätantike Wortgebrauch ist seit Svennungs Orosius-Unter-suchungen bekannt (vgl . Goelzers Anzeige in ALMA, Band 2) un d unlängst im Rahmen der lateinischen Staatsterminologie erneu t behandelt worden (W . SUERBAUM, Vom antiken zum
frithmittel-alterlichen Staatsbegriff, Münster 1961) . Mit der weiteren Entwicklun g his in die frühe Neuzeit befaßt sich die vorliegende Abhandlung . In ihr werden Wort und Begriffsgeschichte, weil untrennbar mit -einander verflochten, wechselseitig untersucht und gefördert .
Zur Debatte steht eingangs Ulpians Definition : publicum ius est , quod ad statum rei Romanae spectat . Mager zeigt, entgegen E . H . Kan-torowicz, daß hier nichts anderes gemeint ist als der gute Zustand , die Wohlfahrt des Gemeinwesens . Glossatoren und Kommentatore n haben die Stelle lange Zeit hindurch genauso verstanden . Von ih r aus führt kein Weg zum modernen Staatsbegriff . Seine Ursprüng e in der Wortgeschichte vonstatussind anderswo zu suchen . Es handelt sich um zwei Ausgangspunkte . Der eine, von den italienischen Kom-munen des Mittelalters herzuleiten, wird von Mager als die „ repu-blikanische Wurzel " bezeichnet . Sie beruht auf der Gleichsetzun g von status mit species politiae (Verfassungsform, Herrschaftsweise) . Zu dieser ersten tritt die zweite „ monarchische Wurzel ", erwachse n in den Monarchien Westeuropas : in England, Frankreich und auf der iberischen Halbinsel steht am Anfang der status regalisim Sinn e von öffentlicher Stellung, Macht und Einfluß des Herrschers . Dies e Bedeutung, alsbald vielfältig differenziert, löst sich am Ende gan z von der Person des Monarchen . Die zwei Bedeutungsstränge, de r monarchische und der republikanische, entwickeln unabhängi g voneinander gleichartige Inhalte (wie Herrschaftsbehauptung, Obrig-keit, Machtmittel) und weiten sich schließlich beide aus auf di e Gesamtheit der Beherrschten und des beherrschten Gebiets . S o erwächst aus beiden im 16 . Jahrhundert der moderne Begriff „ Staat " . Nach diesem Überblick nun einige Einzelheiten : Die republika-nische Wurzel, bisher einseitig hervorgehoben, wird in Kapitel II I nur kurz abgehandelt, auch deshalb, weil sie bereits Gegenstan d der Machiavelli-Forschung gewesen ist . Ergänzend befaßt sich Mager
253 mit dem Sprachgebrauch des Thomas von Aquino und seines Fort-setzers Petrus de Alvernia (im Kommentar zur Politik des Aristoteles) , sodann mit der Chronik des Florentiners Giovanni Villani . Schon be i ihm, vor der Mitte des 14 . Jahrhunderts, finden sich die meisten de r neuen politischen status-Bedeutungen, wie sie später bei Machiavell i und Guicciardini geläufig sind . Eine gründliche Interpretation der Belegstellen läßt allerdings erkennen, wie schwankend der Sprach
-gebrauch der Autoren nicht selten ist .
In Kapitel IV wird die monarchische Wurzel herausgearbeitet , zunächst anhand juristischer, theologischer und philosophische r Schriften (Thomas, Wiclif, Gerson) . Eingeschoben ist (S . 433 ff. ) ein Exkurs über dignitas . Danach kommen historisch-politische Quellen (Briefe, Instruktionen, Verträge) an die Reihe . Es wird (a) die Loslösung des statusregalisvon der Person des Fürsten dargestellt , sodann die Verwendung des Ausdrucks im Sinne von (b) Hof, Hofstaat , Einnahmen zum Unterhalt von Hof und Hofstaat, (c) Herr-schergewalt, Machtmittel, Macht sowie (d) haspitium und servitium . Hinzu tritt ein weiterer Abschnitt (e) über die im 16 . Jahrhundert aufkommenden Bezeichnungen Staatssachen, Staatssekretär un d Staatsrat .
Kapitel V behandelt die Ausweitung von status auf Volk und Staatsgebiet, die am Ende sowohl des monarchischen wie des republi-kanischen Bedeutungsstranges steht . Sie erscheint (bezüglich de s statusregalis) zunächst bei den politischen Theoretikern des 14 . hunderts und wird von der politischen Praxis des folgenden
Jahr-hunderts übernommen . Ähnliches geschieht bei der republikanischen Wurzel, freilich nicht ohne zahlreiche semantische Zwischenstufe n und Mehrdeutigkeiten .
Die subtile Erfassung vieler Nuancierungen und Übergänge i m Wortgebrauch dürfte überhaupt für die ALMA-Leser der wesentlichst e Ertrag der vorliegenden Abhandlung sein . Wieder einmal wird deut-lich, welcher Umsicht und Akribie es bedarf, wenn ein noch unfertige r politischer Terminus auf seinen verschiedenen Entwicklungsstufe n fixiert werden soll . Auch bei status bleibt in dieser Hinsicht noc h einiges zu tun . Die oft beklagte Lücke unserer Kenntnis ist zwa r jetzt kleiner geworden . Für das frühere Mittelalter aber ist sie, nich t zuletzt lexikographisch, immer noch zu schließen . Wer sich dieser Aufgabe zuwendet, wird die Orientierungspunkte, die uns Mage r gegeben hat, im Auge behalten müssen .