• Aucun résultat trouvé

Gesandtschaft als Familiengeschäft : die Casati als Akteure der spanisch-mailändischen Aussenbeziehungen in der Eidgenossenschaft und den Drei Bünden im ausgehenden 17. Jahrhundert

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2021

Partager "Gesandtschaft als Familiengeschäft : die Casati als Akteure der spanisch-mailändischen Aussenbeziehungen in der Eidgenossenschaft und den Drei Bünden im ausgehenden 17. Jahrhundert"

Copied!
451
0
0

Texte intégral

(1)

GESANDTSCHAFT ALS

FAMILIENGESCHÄFT

Die Casati als Akteure der spanisch-mailändischen

Aussenbeziehungen in der Eidgenossenschaft und

den Drei Bünden im ausgehenden 17. Jahrhundert

Andreas Behr

D i s s e r t a t i o n z u r E r l a n g u n g d e r D o k t o r w ü r d e a n d e r P h i l o s o p h i s c h e n F a k u l t ä t d e r U n i v e r s i t ä t F r e i b u r g ( S c h w e i z ) . G e n e h m i g t v o n d e r P h i l o s o p h i s c h e n F a k u l t ä t a u f A n t r a g d e r P r o f e s s o r e n V o l -k e r R e i n h a r d t ( 1 . G u t a c h t e r , F r e i b u r g ) u n d C h r i s t i a n W i n d l e r ( 2 . G u t a c h t e r , B e r n ) . F r e i b u r g , d e n 1 7 . M a i 2 0 1 3 . P r o f . M a r c - H e n r y S o u l e t , D e k a n .

(2)

Hinweis für die Leserin und den Leser

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um meine 2013 am Lehrstuhl für Geschichte der Neuzeit der Universität Freiburg (Schweiz) eingereichte Dissertation. Sie wurde für die Aufnah-me in das Repositorium der Universität Freiburg (réro doc) auf der Grundlage der beiden Gut-achten leicht angepasst, aber nicht wesentlich überarbeitet. Der (wissenschaftlichen) Leserschaft sollen mit dieser weitgehend ungekürzten Version die methodischen Grundlagen, die ausführli-chen, kontextualisierenden Herleitungen von Thesen, die zahlreichen Detailbeschreibungen, die originalsprachlichen Zitate sowie extensive Quellenbelege für die weiterführende Forschung zur Verfügung gestellt werden. Mit der grosszügigen Unterstützung des Schweizerischen National-fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung ist im Herbst 2015 eine gekürzte und überarbeitete Printversion in Form einer Monographie unter dem Titel „Diplomatie als Familien-geschäft. Die Casati als spanisch-mailändische Gesandte in Luzern und Chur (1660-1700)“ im Chronos-Verlag erschienen. Damit sollte die faszinierende Geschichte der spanisch-mailändischen Diplomatie in der alten Eidgenossenschaft einem breiteren Publikum näher ge-bracht werden.

Mein grösster Dank geht an Prof. Dr. Volker Reinhardt der Universität Freiburg (Schweiz). Als Doktorvater hat er von den ersten Keimen der Forschungsidee bis zum Abschluss des Projekts meine Forschungen begleitet und mir an seinem Lehrstuhl ideale Arbeitsbedingungen ermöglicht. Für die wissenschaftliche Integration in sein Forschungsteam danke ich zudem Herrn Prof. Dr. Christian Windler (Universität Bern), Zweitgutachter der Dissertation. Meinen zahlreichen Frei-burger und Berner Kollegen gebührt ebenfalls grösster Dank – nicht nur für die (formellen) kriti-schen Diskussionen. Überdies hatte ich die Möglichkeit, in Heidelberg (Prof. Dr. Thomas Mais-sen), in Mailand (Università del Sacro Cuore, Prof. Dr. Danilo Zardin) sowie in Neuchâtel (PD Dr. Bertrand Forclaz) meine Forschungsarbeit vorzustellen. Diesen Personen sei herzlich dafür gedankt. Ganz besonders möchte ich Dr. Rudolf Bolzern danken. Er hat mich am Ende meiner Studienzeit ans Thema herangeführt und seither meine Forschungen stets mit kritischem und wohlwollendem Auge begleitet.

(3)

Inhaltsverzeichnis

Einleitung ... 1

I. Kontext und Herangehensweise ... 7

1. Historischer Kontext ... 7

2. Forschungskontext: Aussenbeziehungen in der Frühen Neuzeit ... 25

2.1. Neuzeitliche Diplomatie moderne Diplomatiegeschichte ... 27

2.2. Verflechtung und Korruption ... 31

2.3. Staatsbildung ... 39

2.4. Richtungsdebatten nach dem Westfälischen Frieden: Zwischen Realismus und konfessionellen Herausforderungen ... 43

3. Quellen und Herangehensweise ... 53

3.1. Quellenkorpus ... 53

3.2. Zugänge ... 54

II. Die zusammengesetzte Monarchie Spanien sucht ihre Diplomatie – Rahmenbedingungen .... 65

1. Spanische und mailändische Diplomatie in Madrid und Mailand ... 65

1.1. Das spanische Reich ... 66

1.1.1. Das polisynodale System ... 66

1.1.2. Spanische Diplomatie ... 73

1.2. Mailand im Reich ... 80

1.2.1. La república de las parentelas ... 82

1.2.2. Die Mailänder Verwaltungsstrukturen innerhalb der katholischen Monarchie ... 86

1.2.3. Madrider Interessen und ihre Durchsetzung in Mailand ... 89

1.2.4. Mailändische Diplomatie ... 93

2. Spanisch-mailändische Diplomatie in der Eidgenossenschaft und in den Drei Bünden ... 99

2.1. Interessen in der Eidgenossenschaft und in den Drei Bünden ... 102

2.1.1. Spanische Interessen ... 102

2.1.2. Mailänder Interessen ... 106

2.2. Das Mailänder Bündnis mit den katholischen Orten ... 108

2.2.1. Das Bündnis von 1587 ... 108

2.2.2. Die Bündniserneuerungen im 17. Jahrhundert ... 115

2.3. Die Vertragswerke zwischen den Drei Bünden und Mailand von 1639 ... 120

2.3.1. Der Ewige Frieden ... 121

2.3.2. Das Kapitulat ... 126

2.4. Spanisch-mailändische und weitere Repräsentanten im ausgehenden 17. Jahrhundert in der Eidgenossenschaft und in den Drei Bünden ... 130

(4)

2.4.2. Weitere Repräsentanten der spanischen Monarchie ... 134

III. Gesandtschaft als Familiengeschäft: Die Casati ... 140

1. Die Casati innerhalb der Strukturen der spanischen Monarchie ... 140

1.1. Perpetuierung einer Familientradition: Die Nominierung der Gesandten ... 141

1.1.1. Die Gebrüder Gerolamo, Carlo Emanuele und Francesco Casati – der Beginn einer Tradition ... 142

1.1.2. Alfonso Casati – Bestätigung der Sonderstellung ... 146

Exkurs: Stellvertretung in den Mailänder Finanzkammern ... 151

1.1.3. Giovanni Francesco Arese – der Favorit des Gouverneurs ... 155

1.1.4. Enea Crivelli – die Wahl gegen Carlo Casati ... 158

1.1.5. Carlo Casati – der Kampf um die Sonderstellung ... 163

Exkurs: Der schwierige Abgang Carlo Casatis nach dem Tod Karls II. ... 174

1.2. Wirtschaftliche Grundlagen für die Amtsausübung ... 177

1.2.1. Der Reichtum der Casati ... 179

1.2.2. Abhängigkeit von drei Grundlöhnen ... 182

1.2.3. Die Spesenabrechnung als Schlüssel zum Erfolg ... 187

1.3. Soziale Positionierung der Familie Casati ... 195

1.3.1. Die Vernetzung in Madrid, in Mailand und im Heiligen Römischen Reich ... 196

1.3.2. Das grosse Rätsel: Der diplomatische Rang der Casati ... 207

1.4. Fazit: Die Casati ausserhalb der klassischen Ämterlaufbahnen ... 217

2. Etablierung der spanisch-mailändischen Gesandtschaft in Luzern und Chur ... 227

2.1. Der Corpus helveticum und seine Alliierten – ein schwieriges Pflaster für fremde Diplomaten ... 227

2.2. Die Vernetzung der Casati in der Schweiz ... 234

2.2.1. Vernetzung in der katholischen Eidgenossenschaft ... 236

2.2.2. Vernetzung in den Drei Bünden ... 247

2.2.3. Unterschiedliche Beziehungsnetze in den eidgenössischen Orten und in den Drei Bünden ... 256

2.3. Das Gesandtenhaus und -personal in Luzern und Chur ... 258

2.3.1. Personal ... 258

2.3.2. Wohnort und Funktion der Wohnhäuser ... 267

2.3.3. Die aufwändige Präsenz an den Tagsatzungen in Baden ... 275

2.3.4. Vergleich mit der Ambassade in Solothurn ... 278

3. Fazit: Der geschickte Umgang mit einer eigentlich ruinösen Gesandtschaft ... 284

IV. Verflechtung und ihre Grenzen – das Handeln der Casati ... 291

1. Verflechtung im politischen Handeln ... 291

1.1. Die Rekrutierung neuer Klienten ... 293

(5)

1.1.2. Gratifikationen und Pensionen ... 299

1.1.3. Fidel von Thurn – Beispiel einer erfolgreichen Rekrutierung ... 303

1.2. Einflussnahme mittels Klienten ... 309

1.2.1. Erkaufte Stimmung – das Beispiel des Kampfs um Truppen ... 311

1.2.2. Erkaufte Abstimmungen und Wahlen ... 316

1.2.3. Geheime Informationsbeschaffung – die Isolierung von Johann Peregrin von Beroldingen ... 320

Exkurs: Der Machtkampf in den Drei Bünden zwischen den Familien Casati und Salis ... 326

1.3. Fazit: Korruption, Klientelismus oder Patronage? ... 333

2. Grenzen der Verflechtung ... 342

2.1. Die konfessionellen Herausforderungen ... 343

2.1.1. Der schwierige Zugang zu den reformierten Orten der Eidgenossenschaft ... 344

2.1.2. Der Umgang mit den Protestanten in den Drei Bünden ... 356

2.1.3. Die spanischen Aussenbeziehungen – konfessionell gefärbt? ... 372

2.2. Realismus und Verwaltung als Grenzen im Machtkampf Spaniens gegen Frankreich in den 13 Orten ... 378

2.2.1. Realismus und Risikokalkulation in den Aussenbeziehungen der Eidgenossenschaft ... 379

2.2.2. Schleppende Entscheidungsstrukturen in einer zusammengesetzten Monarchie: Das Beispiel des Verlusts der Freigrafschaft Burgund ... 387

V. Fazit ... 400

VI. Tabellenverzeichnis ... 412

(6)

1

Einleitung

Ausgangspunkt vieler offener Fragen zur spanisch-mailändischen Diplomatie in der Schweiz bil-det die erstaunliche Feststellung, dass im 17. Jahrhundert eine einzige Familie, die Mailänder Pat-rizier-Familie Casati, über vier Generationen hinweg beinahe durchgehend die Gesandtschaft besetzte. Diese Feststellung ist umso erstaunlicher vor dem Hintergrund der europaweit ähnli-chen und bekannten finanziellen Bürden und sozialen Entbehrungen, die eine Gesandtschaft mit sich brachte. Die Gesandtenfamilie Casati und ihre Positionierung im Kontext der spanisch-mailändischen Aussenbeziehungen im ausgehenden 17. Jahrhundert stehen im Zentrum der vor-liegenden Arbeit.

Am 22. Februar 1681 sandte Carlo Casati, Sohn des sechs Tage zuvor verstorbenen spa-nisch-mailändischen Gesandten in der Eidgenossenschaft und Graubünden, Alfonso Casati, ei-nen Brief nach Luzern an die mit Spanien verbündeten eidgenössischen katholischen Orte:

„Hochgeachtete und mächtige Herren,

Die besondere Gutmütigkeit, mit welcher Eure hochgeachteten mächtigen [Her-ren] allzeit, gerade aber vor wenigen Monaten der Hochachtung entsprochen ha-ben, die Ihnen der weiland Graf und Ambassador [Alfonso] Casati mein Vater entgegengebracht hat, verpflichtet mich, Ihnen die Nachricht von seinem Verlust zu überbringen. Ich bitte Eure hochgeachteten mächtigen [Herren] mithin, mich als Erben [...] mit derselben Gutherzigkeit und Oberhand (padronanza) zu beehren. Ich bin ganz entschlossen, in allen Orten, wo immer ich bin, leben und sterben zu wollen, für das ich ganz unterwürfig mich bestätige. Demütigst und verpflichtet, Carlo Casati.“1

Alfonso Casati war am 16. Februar 1681 verstorben, nachdem er seit 1663 die Gesandt-schaft in Chur und seit 1667 zusätzlich diejenige in Luzern geführt hatte. Seit 1594 hatten – mit einem nur kurzen Unterbruch – nacheinander sein Grossvater (Alfonso), sein Vater (Carlo Ema-nuele) und zwei Onkel (Gerolamo und Francesco) als Gesandte der spanischen Monarchie in der Eidgenossenschaft und in den Drei Bünden gewirkt. Am 27. November 1680 wurde Alfonso und seinen Nachkommen für ihre langjährigen guten Dienste das Luzerner Ehrenbürgerrecht

1 Carlo Casati an Luzern, Chur, 22.2.1681. Aus: StALu, A 1, F1, Sch 101 (der Verständlichkeit halber leicht

(7)

2

hen. Alfonsos ältester Sohn Carlo nun bat nach dem Tod seines Vaters die katholischen Orte darum, ihn bei der angestrebten Nachfolge auf den Gesandtschaftsposten zu unterstützen.

Nach dem Erhalt des Schreibens sah sich der Vorort der katholischen Schweiz, Luzern, unmittelbar zu einer ausführlichen Antwort verpflichtet:

„Hochwohlgeborener Herr Graf, besonders geehrter Herr,

Gar herzbedauerlich haben wir in den vergangenen Tagen durch ein Landgerücht den traurigen Todesfall Ihrer Exzellenz des Herrn Grafen Ambassadoren [Al-fonso] Casati Ihres Herrn Vaters vernommen. [...] Wir tragen ein besonderes herz-liches Mitleid um den Verlust Ihres geehrtesten Herrn Vaters und bedauern sehr, dass wir damit einen gar wohlgewogenen Herren und Freund haben verlieren müssen, und wir hätten gehofft, das gegenseitige beste Verständnis in dieser durch das vor wenigen Monaten mit dem Ehrenband unseres Bürgerrechts enger verei-nigten Freundschaft fortzusetzen. [...] Wir haben unsererseits die wahrhaftige Be-gierde zur Gegenbezeugung und bitten Gott, dass er uns für dieses schwer zuge-fallene Leid mit einem würdigen Ersatz wiederum erfreuen wolle.“2

Die katholischen Orte legten das Schicksal nicht allein in Gottes Hände. Wenige Tage nach dem Eintreffen der Todesnachricht sandte Luzern im Namen der verbündeten Orte ein Empfeh-lungsschreiben an den spanischen König. Die Familie Casati habe stets mit Eifer im Dienst der spanischen Monarchie gewirkt und dabei eine grosse Zuneigung gegenüber der eidgenössischen Nation gezeigt (zelo verso il servitio della Monarchia di Spagna et insieme l’affettione verso la Natione nostra). Carlo habe in etlichen Angelegenheiten seinem Herrn Vater, Alfonso, assistiert und sich dabei durch seine Fähigkeiten ausgezeichnet (singolarmente ha fatto spiccare le sue ottime parti), sodass er wahrhaftig der Empfehlung an die höchste Grossmütigkeit und Gnade Seiner Majestät würdig sei (degne veramente che ne sÿno raccomandate alla somma generosità et clemenza della M[aes]tà Vostra).3

Diese Gunstbezeugungen erstaunen. Dass die Familie eines fremden Gesandten in sol-chem Mass Schutz bei den höchsten Machtträgern des Gastlandes sucht und dass diese Macht-träger beim Fürsten des Gesandten so eindeutig für ihn und dessen Familie einstehen, ist im frühneuzeitlichen Europa selten zu beobachten; erst recht nicht innerhalb der spanischen Monar-chie: Zum einen dienten spanische Gesandte selten länger als zehn bis fünfzehn Jahre auf dem-selben Posten, bevor sie versetzt oder in den „Innendienst“ der Reichsverwaltung befördert wur-den. Zum anderen war das diplomatische System Spaniens wie im ganzen frühneuzeitlichen

2 Luzern an Carlo Casati, Luzern, 25.2.1681. Aus: StALu, A 1, F1, Sch 101 (der Verständlichkeit halber leicht

ange-passte Version der damaligen deutschen Übersetzung).

(8)

3

ropa stark monarchisch und damit höfisch geprägt: Empfehlungen eines Fürsten für die Nomi-nierung fremder Gesandter am eigenen Hof waren nicht vorgesehen; die Empfehlung der Eidge-nossen für die Nominierung Carlo Casatis widersprach in dieser Form dem höfischen Etikett. Trotz des eidgenössischen und vieler weiterer Empfehlungsschreiben wurde Carlo Casati 1681 jedoch nicht zum Gesandten in der Eidgenossenschaft nominiert und musste sich nach Mailand zurückziehen, seine Zeit als Gesandter aber sollte noch kommen.

Wie sind die zitierten Briefe einzuordnen? Auf der Makroebene, das heisst in der gesamt-spanischen, institutionengebundenen Perspektive der frühneuzeitlichen Aussenbeziehungen, er-scheinen die Schreiben der katholischen Orte und Carlo Casatis als Dysfunktion: Die Bildung von Gesandtschaftsdynastien war innerhalb der spanischen Monarchie nicht vorgesehen. Die Familie Casati bildet mit dem Aufbau einer Gesandtendynastie, die stets im selben Land diente, eine einmalige und damit umso erstaunlichere Ausnahme. Auf den ersten Blick ist das Warum auf der Makroebene schwer einzuordnen. Auf der Mikroebene jedoch, das heisst in der akteursbezo-genen, personengebundenen Perspektive, kann der angeblichen Dysfunktion Sinn verliehen wer-den.4 Wie und warum die Familie Casati über hundert Jahre lang beinahe nahtlos den

spanisch-mailändischen Gesandten in der Schweiz stellen konnte, ist eine der erkenntnisleitenden Grund-fragen, die in der Mikroperspektive diskutiert wird. Sie bildet zugleich den ersten Themenbereich der vorliegenden Arbeit.

Von den Gesandten als „Akteuren der Aussenbeziehungen“ 5 ausgehend, öffnet sich ein

Untersuchungsfeld, das auch Klärungen der Handlungsmechanismen auf der Makroebene um-fasst. Im zweiten Themenbereich wird deshalb dem Handeln der Gesandten nachgegangen. Das Augenmerk der Studie gilt den Jahren zwischen 1667 und 1704 und damit der Zeitspanne zwi-schen dem Beginn der Amtszeit Alfonso Casatis in Luzern und dem Ende der Amtszeit Carlo Casatis in Luzern und Chur. Das Ende der 1660er Jahre und die ersten Jahre des 18. Jahrhun-derts stellen zwei Wendepunkte in der spanischen Geschichte dar. Über Spanien-Mailands

4 Zum Verhältnis zwischen Mikro- und Makropolitik: „Im Gegensatz zur Mikropolitik wäre Makropolitik erstens

nicht personenorientiert, sondern institutionengebunden (das wäre die politologische Kategorie Polity), zweitens nicht auf private Interessen von Individuen oder Kleingruppen ausgerichtet, sondern auf gemeinsame, am Gemeinwohl orientierte Ziele des gesamten Gemeinwesens (Policy). Was freilich drittens den Prozess der Durchsetzung dieser Ziele angeht (Politics), so lässt sich hier keine entsprechende bipolare Unterscheidung treffen, denn bekanntlich sind auch der Makropolitik alle Formen der Macht zur Durchsetzung ihrer Ziele recht, die formellen der Rechtsordnung wie die informellen und verborgenen, das heisst aber nichts anderes als Mikropolitik.“ Reinhard, Wolfgang: Kom-mentar. Mikrogeschichte und Makrogeschichte, in: Thiessen, Hillard von / Windler, Christian (Hg.): Nähe in der Ferne. Personale Verflechtung in den Aussenbeziehungen der Frühen Neuzeit. Berlin 2005, S. 135-144 (hier S. 142). Dabei kommt Reinhard zum Schluss: „Der politische Diskurs der Frühen Neuzeit ist offensichtlich überwiegend mikropolitisch. Zu Recht, denn auch Vorgänge, die auf den ersten Blick rein makropolitischen Charakter haben, erweisen sich bei näherem Zusehen als mehr oder weniger mikropolitisch bestimmt.“ Ebenda, S. 144. Grundlegend für Reinhards ursprünglichen Ansatz für mikropolitische Geschichtsschreibung: Reinhard, Wolfgang: Paul V. Borghese (1605-1621): mikropolitische Papstgeschichte. Stuttgart 2009.

5 In Anlehnung an Christian Windler und Hillard von Thiessen: Thiessen, Hillard von / Windler, Christian (Hg.):

(9)

4

sandtschaft in der Eidgenossenschaft im ausgehenden 17. Jahrhundert ist bisher wenig mehr be-kannt als die zentralen Eckdaten zu den Amtszeiten der verschiedenen Gesandten und zu den Verhandlungsthemen. Die Gesandtschaft in den Drei Bünden wird teilweise aufgearbeitet, aller-dings vornehmlich aus dem Blickwinkel der Bündner Geschichte. Eine systematische Analyse der spanisch-mailändischen Präsenz in der Eidgenossenschaft und in den Drei Bünden steht für die Zeit nach 1621 jedoch aus.6 Mit der vorliegenden Arbeit wird für den erwähnten Zeitraum ein

erster Anstoss zur Schliessung dieser Lücke vorgenommen. Dabei geht es ausdrücklich nicht darum, ereignisgeschichtlich die verschiedenen Verhandlungen etwa über die Solddienstabkom-men, die Pensionszahlungen oder die Handelsverträge aufzuarbeiten, sondern die wesentlichen Bedingungen für die erfolgreiche Ausübung des Gesandtenamts sowie die Handlungsmechanis-men der Gesandten aus spanischer respektive spanisch-mailändischer Perspektive – und nicht aus eidgenössischer und bündnerischer Perspektive – zu ergründen.

In der Analyse des einleitend zitierten Briefaustauschs zwischen Carlo Casati, den katholi-schen Orten und dem spanikatholi-schen König fächert sich ein Fragekatalog auf, der im Aufbau der Arbeit seinen Niederschlag wie folgt findet:

Nach der Einleitung und dem historischen und methodischen Kontext stellt sich im zwei-ten Teil der Studie (II) die Frage nach den Interessen, die in den Beziehungen zwischen Spanien-Mailand einerseits, der Eidgenossenschaft und den Drei Bünden andererseits vertreten wurden. In welchen Bereichen wirkte Alfonso Casati, wie im Schreiben der katholischen Orte angedeutet, im Dienst Seiner Katholischen Majestät überhaupt? In welchem Verhältnis stand Spanien-Mailand zur Eidgenossenschaft und zu den Drei Bünden und worüber verhandelten die Gesand-ten mit ihren Vertretern? Wozu brauchte es überhaupt einen spanisch-mailändischen GesandGesand-ten in Luzern, wozu in Chur? Welche Bedeutung kam – aus spanischer und mailändischer Perspekti-ve – den Gesandtschaften in der Schweiz zu? Zur Beantwortung dieser Fragen werden sowohl die institutionellen Eigenheiten Mailands und Spaniens als „zusammengesetzte Monarchie“ be-leuchtet, als auch die Bündnisse, die die jeweiligen Partner aneinanderbanden, diskutiert. Damit werden vornehmlich strukturelle Aspekte der diplomatischen Kontakte zwischen den Bezie-hungspartnern dargelegt. Grundlage dafür bildet hauptsächlich die zahlreiche Literatur aus dem italienischen und spanischen Kontext, die zumindest in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum nur lückenhaft rezipiert wurde.

6 Die einzige Studie, die einen systematischen Blick auf die spanisch-mailändische diplomatische Präsenz in der

Eid-genossenschaft wirft, betrifft die Amtszeit des ersten Alfonso Casati: Bolzern, Rudolf: Spanien, Mailand und die katholische Eidgenossenschaft: militärische, wirtschaftliche und politische Beziehungen zur Zeit des Gesandten Alfonso Casati (1594-1621). Luzern / Stuttgart 1982. Einen groben Überblick über die Amtszeiten aller Gesandten aus der Familie Casati liefert Agostino Borromeo: Borromeo, Agostino: Art. Casati, in: Dizionario biografico degli Italiani (Bd. 21). Rom 1978.

(10)

5

Die strukturellen Aspekte dienen als Grundlage für die beiden darauffolgenden Teile, die zugleich die beiden Hauptbereiche der Studie darstellen. Im dritten Teil (III) wird die Familie Casati in den Strukturen der spanischen Monarchie verortert. Es gilt zu fragen, warum sich die Casati über vier Generationen hinweg diesen Posten sichern wollten und konnten. Warum war Car-lo Casati, wie die katholischen Orte schrieben, „wahrhaftig der Empfehlung würdig“, und wie ist zu erklären, dass die Freundschaft des Luzerner Grossrats zur Familie Casati „mit dem Ehren-band des Bürgerrechts vereinigt“ wurde? Wer entschied wie über Nominierung, Rang und Titel der Gesandten, die zwar als spanische Gesandte galten, aber von Mailand aus nach Chur und Lu-zern geschickt wurden? Welche Rolle spielten dabei die Netzwerke in Madrid und Mailand, wel-che diejenigen in Chur und Luzern? Kurzum: Wie konnte sich eine derartige Gesandtendynastie in der alten Eidgenossenschaft bilden? Die Karrieren der letzten beiden Vertreter der Familie Casati werden vor dem Hintergrund der klassischen Curricula im spanischen und mailändischen „Aussendienst“ eingeordnet. Die Wege der beiden Interims-Gesandten Giovanni Francesco Are-se und Enea Crivelli, die in den Jahren zwischen 1681 und 1686 in der Schweiz dienten, werden dabei als Kontrastfolie herangezogen.

Im vierten und letzten Teil der Arbeit (IV) wird der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des diplomatischen Handelns nachgegangen. An wen richtete sich Carlo Casati genau, wenn er „mit der Gutherzigkeit und Oberhand“ Luzerns beehrt werden wollte? Wie lässt sich erklären, dass die Gesandten um die „Oberhand“ (padronanza) Luzerns baten, wenn doch die Gesandten im Grunde in klientelären Patronagebeziehungen mit den Magistraten der einzelnen eidgenössischen Orte und der Drei Bünde standen, in denen sie die Patrone und nicht die Schutz suchenden Klienten waren? Welche Ressourcen wurden innerhalb dieser Patronagebeziehungen transferiert und welche Rolle ist dabei den Casati zuzuordnen? Wie erfolgreich waren die Casati in der Durchsetzung der von ihnen vertretenen Interessen, wo lagen die Grenzen der Hand-lungsmöglichkeiten und welches waren die allfälligen Hemmfaktoren, die einen uneingeschränk-ten diplomatischen Erfolg der Gesanduneingeschränk-ten verhinderuneingeschränk-ten? Es stellen sich damit Fragen, die zwar primär, aber nicht allein mit Blick auf die Mikroebene beantwortet werden müssen. Es werden deshalb die Eigenheiten des alltäglichen politischen Handelns der Gesandten fokussiert, die auf der Logik der Verflechtung gründeten. Gerade die Mechanismen zur Durchsetzung der Interes-sen durch die Gesandten vor Ort zeigen, dass sich Politik zwar sehr wohl primär „an der Familie orientierte, und nicht am Staat“7, dass von einer Trennung zwischen Mikro- und Makropolitik

7 Reinhard, Wolfgang: Kommentar. Mikrogeschichte und Makrogeschichte, in: Thiessen, Hillard von / Windler,

Christian (Hg.): Nähe in der Ferne. Personale Verflechtung in den Aussenbeziehungen der Frühen Neuzeit. Berlin 2005, S. 135-144 (hier S. 143). Wolfgang Reinhard geht hier eher von einer Trennung der beiden Ebenen aus und plädiert dafür, dass die „Welt der Mikropolitik als ein autonomes System zu betrachten“ ist. In der vorliegenden Studie wird demgegenüber davon ausgegangen, dass sich beide Referenzsysteme, d.h. der institutionell-staatliche

(11)

6

aber dennoch nicht ausgegangen werden kann: Die makropolitischen Normen und Normverän-derungen wirkten sich auf das (mikropolitische) Handeln der Akteure aus und umgekehrt.

Mit diesem Aufbau folgt die Arbeit einem Erzählduktus, der den Leser vom Grossen ins Kleine, von der Makroebene auf die Mikroebene führt. Dabei stehen durch die vornehmlich ak-teursbezogene Perspektive die Vertreter der Familie Casati zwar eindeutig im Mittelpunkt der Studie, trotzdem wird keine Familiengeschichte im engeren Sinn geschrieben. Vielmehr dient der Blick durch die Linse der Casati dem allgemeinen Verständnis der spanisch-mailändischen Prä-senz und ihrer Funktionen in der Eidgenossenschaft und Graubünden.8 Im Fazit der Studie

wer-den die beiwer-den zentralen Themenkomplexe vereint: Es stellt sich zum einen die Frage nach der Rollenvielfalt der Gesandten, das heisst nach deren Abhängigkeiten und Loyalitäten in der Inte-ressenvertretung aller involvierten Machtträger. Zum anderen sollen die Karrieren der Familie Casati sowie der Erfolg der spanisch-mailändischen diplomatischen Mission im engeren Sinn beurteilt werden. Dadurch wird der Blick abschliessend von der Mikro- erneut auf die Makro-ebene gelenkt.

Im nachfolgenden historischen Kontext werden nacheinander die Eckdaten zum aussen-politischen (europäischen) Engagement Spaniens, Mailands, der Eidgenossenschaft und der Drei Bünde vorgestellt. Darauf folgt eine ausführliche Situierung im Forschungskontext. Dabei geht es darum, die aktuell diskutierten methodischen Zugänge und Forschungsfragen einer modernen Diplomatiegeschichte darzulegen, woraufhin schliesslich an die Quellen, welche die Basis der Studie bilden, sowie an das methodische Vorgehen herangeführt wird.

Diskurs der Makropolitik und der personengebundene, auf private Interessen ausgerichtete Diskurs der Mikropolitik, überlagerten.

8 Der Verzicht auf eine breit angelegte Familiengeschichte hat auch quellentechnische Gründe: Das Familienarchiv

(12)

7

I. Kontext und Herangehensweise

1. Historischer Kontext

Der Bruch von 1668

„Die Krise der Jahre rund um 1668 ist von grösster Bedeutung und Symbolkraft für die Geschichte der spanischen Monarchie. Auf die beschämende und beispiel-lose militärische Niederlage in Portugal folgte unmittelbar das Fiasko in Flandern gegen die Armee Ludwigs XIV. 1669 kam man in Madrid zur Einsicht, dass Flan-dern ohne fremde Hilfe nicht verteidigt werden konnte. Im darauffolgenden Jahr rückte Spanien von den seit alters verteidigten exklusiven Nutzungsrechten auf die Neue Welt in einem Vertrag mit England ab, in welchem u.a. Cromwells Erobe-rung von Jamaica formell anerkannt wurde. Ludwig XIV. verhandelte unterdessen mit den Wiener Habsburgern den ersten Teilungsvertrag des spanischen Reichs.“9

Spätestens mit dem Verlust von Portugal im Jahr 1668, so Richard Anthony Stradling weiter, war das philippinische Selbstverständnis der spanischen Monarchie der 1580er Jahre hinfällig gewor-den; eine neue Identität musste gebildet werden. Stradling beschreibt in seiner Analyse einen langsamen Niedergang des spanischen Reichs, wobei das Jahr 1668 zu einem „Schicksalsjahr“ stilisiert wird. Drei Jahrzehnte nach Erscheinen der Studie Stradlings sind seine Thesen von fort-dauernder Gültigkeit. Auch Gianvittorio Signorotto konstatiert einen Niedergang, allerdings wei-tet er die Perspektive auf weitere Akteure aus, rückt Spanien in den Hintergrund und das „katho-lische Europa“ ins Zentrum seiner Analyse.10 Wie Stradling hebt er das – seiner Meinung nach

historiographisch vernachlässigte – Jahrzehnt nach dem Pyrenäenfrieden hervor und sieht im Jahr 1668 einen negativen Höhepunkt der Krise des katholischen Europa. Die Krise manifestier-te sich für Spanien am offensichtlichsmanifestier-ten in der mangelnden Unmanifestier-terstützung des Kaisers im Krieg gegen Portugal, im französischen Devolutionskrieg und in der daran anknüpfenden französi-schen Eroberung der Freigrafschaft Burgund sowie im Vertrag zwifranzösi-schen Ludwig XIV. und Kai-ser Leopold I., in welchem sich die beiden Herrscher das spanische Reich für den Fall eines

9 Stradling, Richard Anthony: Europe and the decline of Spain. London 1981, S. 170f. (eigene Übersetzung).

10 Signorotto, Gianvittorio: Il declino dell’Europa cattolica e il cammino della modernità, in: Dimensioni e Problemi

della Ricerca Storica (I/2011). Rom 2011, S. 5-38. Der Aufsatz von Signorotto entspricht dem folgenden Beitrag: Signorotto, Gianvittorio: Il declino dell’Europa cattolica e il cammino della modernità, in: Martínez Millán, José / González Cuerva, Rubén (Hg.): La dinastía de los Austria: las relaciones entre la monarquía católica y el Imperio (Vol. 3). Madrid 2011, S. 2099-2136.

(13)

8

folgekriegs aufteilten.11 Namentlich das Auseinanderdriften der beiden Habsburger Häuser

iso-lierte die spanische Monarchie in Europa zusätzlich, was im Urteil einiger Zeitgenossen ange-sichts des französischen Machtaufstiegs verheerend war.12

Die Wirren, denen sich das spanische Reich Ende der 1660er Jahre ausgesetzt sah, kön-nen zu Recht in vielerlei Hinsicht als Bruch gewertet werden. Folgt man der Argumentation Stradlings, so haben die Ereignisse um das Jahr 1668 auch in der spanischen Aussenpolitik einen einschneidenden Paradigmenwechsel ausgelöst. Madrid hatte sich einzugestehen, dass es ohne fremde Hilfe seine flandrischen Besitzungen nicht mehr zu verteidigen imstande war, und auch in Italien fürchtete man seit dem Pyrenäenfrieden immer wieder einen Einmarsch französischer Truppen. Ein Zeitalter brach an, welches in unzähligen Studien und in allen Schattierungen pri-mär als eines des Niedergangs beschrieben wurde. Das Aussterben des spanisch-habsburgischen Zweigs und der dadurch ausgelöste Spanische Erbfolgekrieg stellen eine offensichtliche, politisch, sozial und kulturell tiefschürfende Zäsur dar, die den Endpunkt dieses Niedergangs, ja den End-punkt einer ganzen Epoche beschliesst.

Kontinuitäten und Brüche in der Beschreibung ein und desselben Phänomens zu beto-nen, lässt sich bekanntlich oftmals gleichermassen rechtfertigen. Das Beispiel der spanisch-mailändischen Präsenz in der Eidgenossenschaft und den Drei Bünden wird zeigen, dass Brüche und Kontinuitäten mitunter in unerwarteten Zeiten festzumachen sind. Gerade weil sich die spa-nische Diplomatie in der Schweiz im Schatten der grossen Botschaften entwickelte, kann es aber nicht erstaunen, in Chur und Luzern auf Phänomene zu stossen, welche für Spaniens Aussenbe-ziehungen untypisch sind. Die diplomatischen BeAussenbe-ziehungen zwischen Spanien-Mailand und den eidgenössischen und bündnerischen Orten im ausgehenden 17. Jahrhundert stellen für das An-cien Regime überhaupt in mancher Hinsicht einen Sonderfall dar. Ausserordentlich sind etwa die ausgeprägte Kontinuität in der Besetzung der Gesandtenposten – zwischen 1594 und 1703 stellte die lombardische Familie Casati über vier Generationen hinweg nahezu durchgehend den Ge-sandten –, die doppelte Verpflichtung der GeGe-sandten dem Mailänder und dem Madrider Hof

11 Signorotto, Gianvittorio: Il declino dell’Europa cattolica e il cammino della modernità, in: Dimensioni e Problemi

della Ricerca Storica (I/2011). Rom 2011, S. 5-38 (hier S. 10-18). Auch Malettke hebt hervor, dass der Kaiser und Frankreich die damalige Schwäche Spaniens ausnutzten und so den ersten Teilungsvertrag unterzeichneten. Siehe Malettke, Klaus: Hegemonie – multipolares System – Gleichgewicht (1648/59 – 1713). Paderborn 2012, S. 333f. Mitzuberücksichtigen sind für die Krise des katholischen Europa gemäss Signorotto des Weiteren u. a. der Krieg gegen die Türken und das drohende Schisma mit der gallikanischen Kirche.

12 So die Meinung des österreichischen Feldherrn und Diplomaten Raimondo Montecuccoli in einem Memoriale:

„La Spagna e la Casa d’Austria e di Germania furono per l’adietro unitissime tra loro [...] e quindi potentissime, non essendo altro la forza che una identità di più Corti, ciascuna de’ quali ha la potenza che in uno si congiunge. Ma di presente (che dovriano essere più che mai unite, per l’impeto degli emuli, per il poco numero de’ Principi del sangue, per tutelare l’eredità) ecco si disuniscono.“ Zitiert nach: Signorotto, Gianvittorio: Il declino dell’Europa cattolica e il cammino della modernità, in: Dimensioni e Problemi della Ricerca Storica (I/2011). Rom 2011, S. 5-38 (hier S. 22).

(14)

9

gegenüber sowie die Aufnahme eines fremden Gesandten ins lokale Bürgerrecht – eine Ehre, die Alfonso Casati 1680 vom Luzerner Grossen Rat erwiesen wurde.

Die Regierungszeit Karls II. fiel weitgehend mit den Gesandtschaften der letzten beiden Casati-Botschafter in Luzern und Chur, der Grafen Alfonso (1667-1681) und Carlo Casati (1686-1703), zusammen. Die vier Jahrzehnte waren geprägt durch einen Unterbruch zwischen 1681 und 1686 in der sonst weitgehend lückenlosen „Dynastie“ der Casati. Während aus Schweizer Sicht innenpolitisch eine relativ friedliche Zeit durchlebt wurde – der Bauernkrieg und der erste Vill-mergerkrieg 1656 hatten für den Rest des Jahrhunderts die sozialen Machtverhältnisse gefestigt –, waren die eidgenössischen Orte und Graubünden aussenpolitisch den Schwankungen der euro-päischen Politik ausgesetzt: Der Aufstieg Frankreichs unter Ludwig XIV. beeinflusste das Gebiet der heutigen Schweiz in besonderem Mass.

Im Folgenden wird ein kurzer historischer Abriss der aussenpolitischen Handlungen und Paradigmen Spanien-Mailands geliefert. Es geht nicht darum, im Sinne der traditionellen Diplo-matiegeschichte die Beziehungen zwischen Spanien-Mailand und der Eidgenossenschaft und Graubünden ereignisgeschichtlich in allen Einzelheiten aufzuarbeiten; vielmehr sollen einzig eini-ge zentrale Eckdaten zu den vier involvierten Gebieten im europäischen Kontext voreini-gestellt wer-den. Konkrete Ereignisse innerhalb der spanisch-eidgenössischen Beziehungen werden zudem in den einzelnen Kapiteln der vorliegenden Arbeit behandelt. Die Jahre um 1668 bilden den Aus-gangspunkt der Studie. Um die von Stradling vorgebrachte These des Paradigmenwechsels fruchtbar einzubeziehen, müssen zumindest vereinzelt Phänomene und Handlungen aufgegriffen werden, die zeitlich vor dem vermeintlichen „Schicksalsjahr“ liegen. Es stellt sich unter anderem die Frage, ob die politische Neuausrichtung Spaniens auch auf dem eidgenössischen diplomati-schen Parkett spürbar wurde. Die Frage nach diesem Paradigmenwechsel wird allerdings nicht als eine der zentralen Thesen der Studie diskutiert, vielmehr soll er primär als chronologischer Eck-punkt dienen.

Spanien und Mailand im ausgehenden 17. Jahrhundert im europäischen Kontext

Was prägte die letzten vier Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts? – Die groben Linien einer ereignis-bezogenen Diplomatiegeschichte sind in wenigen Worten umrissen: Die aggressive Expansions-politik Frankreichs führte zu Beginn der 1670er Jahre zu einer Annäherung unter den übrigen Mächten, über die Konfessionsgrenzen hinweg und ungeachtet vormaliger Feindschaften. Bis zur Spanischen Erbfolge befanden sich die wichtigsten Kriegsschauplätze im Grenzgebiet zwischen Frankreich, den spanischen Reichsteilen (Niederlande, Burgund, Katalonien), den Generalstaaten und dem Heiligen Römischen Reich. Konflikte und Neuordnungen in den Aussenbeziehungen

(15)

10

der europäischen Mächte ergaben sich ausserdem etwa mit der Aufhebung des Edikts von Nan-tes (1685), mit der Revolution in England (1688) sowie mit dem für Österreich-Habsburg erfolg-reich ausgehenden Türkenkrieg (1683-1699).

Die Zeit zwischen dem Tod Philipps IV. und jenem Karls II. (1665-1700) ist gekenn-zeichnet von einem (bereits Jahrzehnte davor eingeläuteten) politischen Niedergang Spaniens. Philipp IV. hatte seinem Sohn und Erben ein Reich hinterlassen, welches die „innenpolitischen“ Krisen um die Jahrhundertmitte – so die Aufstände in Neapel, Katalonien, Portugal und Flan-dern – überwunden und mit dem Pyrenäenfrieden von 1659 die kriegerischen Auseinanderset-zungen mit Frankreich beendet hatte. Dennoch wurde in den darauf folgenden Jahren rasch deutlich, dass der Sonnenkönig den „Rey Planeta“, den „Planeten-König“ Philipp IV., ersetzt hatte und dass sich Frankreich zur neuen Hegemonialmacht in Europa entwickeln würde. Der aussenpolitische Machtverlust Spaniens koinzidierte überdies mit einer innenpolitischen Schwä-che, welche von Machtkämpfen der herrschenden Adligenclans am Hof geprägt war.13 In Madrid

fehlte eine Figur, welche die Regierungsgeschäfte mit starker Hand hätte lenken können. Viel-mehr begleiteten am spanischen Hof zwei starke Faktionen, eine französische und eine pro-habsburgisch-österreichische, das Warten Europas auf das Aussterben der spanischen Habsbur-ger-Linie. Mariana de Austria, die bis zum Tod ihres Ehemanns Philipp IV. von den Regierungs-geschäften ferngehalten worden war, trug während ihrer Regentschaft (bis 1675) einen Macht-kampf mit einem unehelichen Sohn Philipps IV., Don Juan de Austria, aus.14 Weder Mariana,

noch der physisch schwache Karl II. mit seiner Entourage waren imstande, die Zügel der Regie-rungsgeschäfte fest in Händen zu halten. Das polisynodale System des kastilischen Staatsaufbaus (vgl. Kapitel II.1.1.1.) erschwerte zudem eine deutliche Kompetenzzuordnung15, was im Fall eines

schwachen Hauptes die Effizienz und Effektivität der Administration lähmen konnte. Aufstände in den verschiedenen Reichsgebieten, insbesondere in Messina im Vizekönigreich Sizilien

13 Maquart, Marie-Françoise: L’Espagne de Charles II et la France. Toulouse 2000, insb. S. 45-52, 85, 90;

Domínguez-Ortiz, Antonio: La crise intérieure de la monarchie des Habsbourgs espagnols sous Charles II, in: Bots, Hans (Hg.): The Peace of Nijmegen 1676-1679. Proceedings of the International congress of the tricentennial (Nij-megen 14-16 September 1978). Amsterdam 1980, S. 157-167. Grundlegend zum spanischen Reich im ausgehenden 17. Jahrhundert : Kamen, Henry: Spain in the Later Seventeenth Century: 1665-1700. London 1983.

14 Ribot García, Luis Antonio: La España de Carlos II, in: Molas Ribalta, Pere (Hg.): La transición del siglo XVII al

XVIII. Entre la decadencia y la reconstrucción. Madrid 1993, S. 71-203 (hier S. 71). Spezifisch zu den Machtkämpfen während der Regentschaft Mariana de Austrias siehe Contreras, Jaime: Carlos II el Hechizado. Poder y melancolía en la corte del último Austria. Madrid 2003, S. 87-122, und Kalnein, Albrecht von: Die Regentschaft in Spanien, 1665-1677: Schwächung der Krongewalt und politische Alternativen. Saarbrücken 1992. Kalnein konstatiert für die Re-gentschaft zusammenfassend insgesamt eine Schwächung der Zentralgewalt, eine Entmachtung Karls II. und damit eine „Entwertung des Königtums überhaupt“, eine für die Regierung destabilisierende „Aufwertung der politischen Rolle der Hauptstadt“ sowie letztlich eine Stärkung der Institutionen und „Stände“ gegenüber der Zentralregierung. Siehe ebenda, S. 493-498.

15 Álvarez-Ossorio Alvariño, Antonio: Corte y Provincia en la Monarquía católica: La Corte de Madrid y el Estado de

Milán, 1660-1700, in: Brambilla, Elena / Muto, Giovanni (Hg.): La Lombardia spagnola. Nuovi indirizzi di ricerca. Mailand 1997, S. 283-341 (hier S. 309).

(16)

11

1678), brachten die Machtbalance immer wieder ins Schwanken.16 Ziel der am Hof präsenten

Parteien war es letztlich, das Testament Karls II. zu ihren eigenen Gunsten zu beeinflussen; zwi-schen dem Kaiser und dem König von Frankreich kam es denn auch mehrmals zu Verhandlun-gen über eine allfällige Teilung des spanischen Reichs.

Trotz einer langsamen, auf monetären und handelspolitischen Reformen aufbauenden Erholung der Wirtschaft17 hatte Spanien auch im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts stets mit

einer notorischen finanziellen Schwäche zu kämpfen, welche regelmässig die Zahlung offener Schulden verunmöglichte und u.a. in den 1670er Jahren zu einer Ämterveräusserung grossen Stils führte. Die durch den ständig drohenden Staatsbankrott verursachte Fragilität wirkte sich ge-zwungenermassen ungünstig auf die aussenpolitische Stellung der spanischen Monarchie aus. Zwang der Vormarsch Frankreichs eigentlich zu militärischen Ausgaben, so band die prekäre Finanzlage die Ansprüche der Madrider Regierung immer wieder zurück.

Vor diesem Hintergrund hatte die kastilische Krone – jenseits der genuinen dynastischen Interessen – den Zusammenhalt des spanischen Reichs zu verteidigen. Hauptziel war es, das spa-nische Reich nicht einer allfälligen Teilung preiszugeben. Die Aussenbeziehungen in den ersten Jahren der Regierungszeit Karls II. waren geprägt von dieser Idee, was primär bedeutete, den aussenpolitischen Ambitionen Ludwigs XIV. Widerstand zu leisten.18 Da spätestens Ende der

1660er Jahre klar war, dass Spanien allein der aggressiven Machtpolitik Ludwigs nicht gewachsen sein würde, rückte die Möglichkeit einer Allianz mit Reichsfürsten, mit England und gar mit der Niederlande immer näher. Neben den Handelsprivilegien hatte Spanien für die gewünschte Hilfe in der Verteidigung der nördlichen Reichsgebiete (Flandern) aber kaum Gegenleistungen zu bie-ten. Gegenüber den Subsidien des Königs von Frankreich waren dies zumindest kurzfristig schwache Argumente. Spanien befand sich ab dem Pyrenäenfrieden im Grunde in einer „Nach-kriegssituation“, verglichen mit den Jahren zwischen 1620 und 1659 war die Regierungszeit Karls II. aussenpolitisch zurückhaltend.19 Die Ruhe war aber nicht zuletzt der mangelnden Schlagkraft

der spanischen Aussenpolitik geschuldet20; Friedrich Edelmayer seinerseits stellt in seiner

16 Ribot García, Luis Antonio: La España de Carlos II, in: Molas Ribalta, Pere (Hg.): La transición del siglo XVII al

XVIII. Entre la decadencia y la reconstrucción. Madrid 1993, S. 71-203 (hier S. 179-203).

17 Domínguez-Ortiz, Antonio: La crise intérieure de la monarchie des Habsbourgs espagnols sous Charles II, in:

Bots, Hans (Hg.): The Peace of Nijmegen 1676-1679. Proceedings of the International congress of the tricentennial (Nijmegen 14-16 September 1978). Amsterdam 1980, S. 157-167 (hier S. 165); Ribot García, Luis Antonio: La España de Carlos II, in: Molas Ribalta, Pere (Hg.): La transición del siglo XVII al XVIII. Entre la decadencia y la reconstrucción. Madrid 1993, S. 71-203 (hier S. 163). Die wirtschaftliche und demographische Erholung betraf ins-besondere das im 17. Jahrhundert arg gebeutelte Kastilien, hatte aber letztlich auf das gesamte Reich positive Aus-wirkungen.

18 Sánchez Belén, Juan Antonio: Las relaciones internacionales de la Monarquía Hispánica durante la regencia de

doña Mariana de Austria, in: Studia historica. Historia moderna (20/1999). Salamanca 1999, S. 137-172.

19 Ribot García, Luis Antonio: La España de Carlos II, in: Molas Ribalta, Pere (Hg.): La transición del siglo XVII al

XVIII. Entre la decadencia y la reconstrucción. Madrid 1993, S. 71-203 (hier S. 179).

20 Henry Kamen spricht diesbezüglich für das ausgehende 17. Jahrhundert lapidar von einem „militärischen und

(17)

12

blicksdarstellung der spanischen Monarchie im 17. Jahrhundert verkürzt fest: „Karl II., der glück-lose König aus dem Haus Österreich, konnte während seiner Regierung aussenpolitisch keine Akzente mehr setzen.“21

Die Verteidigungskriege gegen Frankreich waren demnach entscheidende Eckpunkte in der spanischen Aussenpolitik. Bis zur Spanischen Erbfolge gab es drei von Frankreich initiierte respektive provozierte militärische Konflikte, die verschiedene Gebiete des spanischen Reichs direkt betrafen. Der Devolutionskrieg (1667-1668), in welchem Ludwig XIV. unter dem Vor-wand der nicht bezahlten Mitgift für seine Heirat mit Maria-Theresia von Spanien die spanischen Niederlande angriff und die Freigrafschaft Burgund besetzte, war die erste expansionistische Handlung des volljährigen Königs. Die Vermittlermächte England, Holland und Schweden ver-pflichteten die kriegerisch machtlosen Spanier im Frieden von Aachen (1668) zum Verzicht auf einige Waffenplätze in Flandern; die Freigrafschaft Burgund blieb aber in spanischen Händen.22

Der Devolutionskrieg hatte die militärische Ohnmacht Spaniens offengelegt, insbesondere die kampflose Überlassung der Freigrafschaft Burgund löste heftige Diskussionen um die Herr-schaftsfrage in der spanischen Provinz aus. Das Herrschaftssystem „à la carte“, welches die kasti-lische Krone bis dahin mit Rücksicht auf die Eigenheiten jeder Provinz praktizierte, wurde gründlich in Frage gestellt.23 Um seine nördlichen Besitzungen vor weiteren französischen

An-griffen zu schützen, leitete Spanien insbesondere in der Freigrafschaft Burgund Regierungsre-formen ein und rüstete die Provinz militärisch auf.24 Zudem befürchtete Madrid – wie die

Kor-respondenzen der Mailänder Gouverneure zeigen – regelmässig den Einfall französischer Trup-pen in Italien. Aus geostrategischen und militärischen Gründen spielten dabei die Eidgenossen und Bündner eine zentrale Rolle, einerseits als „Vormauer“ für Mailand, andererseits als (für spa-nische Truppenbewegungen wichtigstes) Verbindungsglied zwischen Mailand und Burgund

del siglo XVII al XVIII. Entre la decadencia y la reconstrucción. Madrid 1993, S. 207-298 (hier S. 207). Christopher Storrs hat zwar diese radikale These relativiert – faktisch blieb Spanien gegenüber Frankreich weitegehend unterlegen und konnte nur auf dessen Vorstösse reagieren und das eigene Terrain nach Möglichkeiten verteidigen. Siehe Storrs, Christopher: The Resilience of the Spanish Monarchy, 1665-1700. Oxford 2006.

21 Edelmayer, Friedrich: Die spanische Monarchie der Katholischen Könige und der Habsburger (1474-1700), in:

Schmidt, Peer (Hg.): Kleine Geschichte Spaniens. Stuttgart 2004, S. 123-207 (hier S. 199). Zum Aufstieg Frankreichs fügt Edelmayer die seit dem Westfälischen Frieden faktisch abgebrochene Zusammenarbeit zwischen den beiden Habsburger Zweigen hinzu. Siehe dazu jüngst auch Enrique Solano Camón, der den Bruch zwischen den beiden Habsburger Zweigen v.a. in den Jahren nach dem Frieden von Aachen (1668) und der Heirat Leopolds I. mit der Erzherzogin von Österreich Claudia Felizitas (1673) sieht: Solano Camón, Enrique: Una nueva aproximación en torno a las relaciones políticas entre la corte madrileña y Viena en el último cuarto del siglo XVII, in: Martínez Mil-lán, José / González Cuerva, Rubén (Hg.): La dinastía de los Austria: las relaciones entre la monarquía católica y el Imperio (Vol. 2). Madrid 2011, S. 1045-1074. Im Verlauf der Arbeit wird sich zeigen, dass dieser Bruch zumindest auf dem eidgenössischen diplomatischen Parkett und hinsichtlich der Beziehungen zwischen Mailand und Wien teilweise relativiert werden muss.

22 Hugon, Alain: Rivalités européennes et hégémonie mondiale. XVIe-XVIIIe siècle. Paris 2002, S. 142.

23 Pernot, François: La Franche-Comté espagnole. À travers les archives de Simancas, une autre histoire des

Franc-Comtois et de leurs relations avec l’Espagne, de 1493 à 1678. Besançon 2003, insb. S. 283ff.

24 Pernot, François: La Franche-Comté espagnole. À travers les archives de Simancas, une autre histoire des

(18)

13

pektive als Truppenreservoir für den Schutz beider Provinzen. Doch nicht zuletzt die finanziellen Nöte der spanischen Monarchie verhinderten einen effizienten Wiederaufbau der Streitkräfte in ihren nördlichen Besitzungen.25

Nach dem Aachener Frieden wurde von vielen Seiten eine baldige weitere Offensive Frankreichs erwartet. Das deklarierte Ziel Ludwigs XIV. war 1672 die Zerstörung oder zumin-dest die Schwächung der niederländischen Wirtschaftsmacht. Die militärischen Schwierigkeiten in den Niederlanden – trotz einer Allianz mit England – bewegten den Sonnenkönig aber dazu, Ende 1673 die Truppen abzuziehen. In der Zwischenzeit hatten die Scharmützel an der Grenze zwischen Herzogtum und Freigrafschaft Burgund begonnen.26 Im Laufe der militärischen

Ausei-nandersetzungen kam es u.a. zu Kriegshandlungen in der Freigrafschaft Burgund, welche 1674 von Frankreich erobert wurde, sowie im Elsass, in Flandern und in Italien, wo die spanische See-flotte vor Messina von Frankreich besiegt wurde. Frankreich war der Dreierallianz, welche sich zwischen Holland, Spanien und dem Kaiser gebildet hatte, militärisch und strategisch weit über-legen. Mit der „Guerre de Hollande“ jedoch hatte sich Frankreich in eine Position der Isolation manövriert: Es galt fortan als Macht mit hegemonialen Bestrebungen in Europa, die es zu bändi-gen galt. Aussenpolitisch hatte Spanien unterdessen über die Allianz mit einer protestantischen Macht, den Niederlanden, welche bis 1648 bekriegt worden waren, eine bemerkenswerte Wende vorgenommen.27

1688 entfachte der französische König mit dem Einfall seiner Truppen in Süddeutschland einen Krieg, der in der französischen Historiographie als „Guerre de la ligue d’Augsbourg“, in der deutschen als Pfälzischer Erbfolgekrieg in die Annalen eingegangen ist. Tatsächlich hatte sich – als Reaktion auf die aggressive „Reunionspolitik“ Frankreichs Anfang der 1680er Jahre – eine Defensivallianz um Spanien, den Kaiser, Schweden, den Bayrischen Kurfürsten und weitere Reichsstände gebildet (Augsburger Liga), welche 1689 um den Beitritt Englands, Hollands und Savoyens zur Grossen Allianz erweitert wurde. Die militärischen Auseinandersetzungen münde-ten letztlich in den Frieden von Rijswijk (1697). Während Frankreich u.a. Strassburg und die Reunionen im Elsass behaupten konnte, wurde es dazu verpflichtet, die zu Ungunsten Spaniens eroberten Gebiete an den ursprünglichen Besitzer abzutreten. Spanien, militärisch weiterhin schwach, hatte hingegen hinzunehmen, dass die Generalstaaten Waffenplätze in den spanischen Niederlanden kontrollierten – längst hatten die flandrischen Besitzungen Kraft eingebüsst und

25 Zu den Zahlen von 1660 bis zur Spanischen Erbfolge vgl. Kamen, Henry: España en la Europa de Luis XIV, in:

Molas Ribalta, Pere (Hg.): La transición del siglo XVII al XVIII. Entre la decadencia y la reconstrucción. Madrid 1993, S. 207-298 (hier S. 257-281).

26 Gresset, Maurice et al. (Hg.): Histoire de l’annexion de la Franche-Comté et du Pays de Montbéliard. Le Coteau

1988, S. 239ff.

27 Zur konfessionellen Konditionierung der spanischen Aussenbeziehungen im niederländischen Kontext siehe

(19)

14

waren zur Pufferzone zwischen den zwei Wirtschaftsmächten Frankreich und den Niederlanden verkommen.28

Trotz der Bestrebungen Karls II. das Reich zusammenzuhalten und militärische Konflikte mit dem überlegenen französischen Nachbarn zu vermeiden, konnte sich Spanien den internatio-nalen Konflikten nicht entziehen. Gerade das aber strebte das Herzogtum Mailand als Teil des spanischen Reichs an, insbesondere nach den Erfahrungen des Dreissigjährigen Kriegs. Die loka-len Magistraturen setzten sich für eine allgemeine Entlastung insbesondere in militärischen (und damit auch in steuerlichen) Belangen ein. Sie wurden von Madrid bis zu einem gewissen Grad gewährt.29 Alivio (Entlastung, Linderung) wurde etwa neben der conservación (Wahrung, Erhalt)

und der prudencia (Besonnenheit) für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts ein für Spanien hand-lungsleitender Herrschaftsdiskurs im Umgang des Zentrums mit der Peripherie, war aber durch-aus auch mit reellen politischen Konsequenzen verknüpft.30 So wurde Mailand nach dem

Westfä-lischen Frieden militärisch nie mehr so stark in Anspruch genommen wie zu Zeiten des Dreissig-jährigen Kriegs. Aus Mailänder Sicht war diese Entlastung heikel: Einerseits sank die Steuerbelas-tung31, andererseits drohte aber ein Bedeutungsverlust innerhalb des spanischen Reichsverbands

und damit bei einem allfälligen französischen Angriff die Isolation. Letztlich aber profitierte das Herzogtum davon, dass Spanien – der Doktrin Philipps II. folgend – weiterhin am Besitz Flan-derns festhielt, um Frankreich möglichst von Italien und der iberischen Halbinsel fernzuhalten; eine Taktik, welche Ende des 17. Jahrhunderts nur dank der Unterstützung durch die Niederlän-der und EnglänNiederlän-der aufrechterhalten werden konnte.

Mit dem Devolutionskrieg kam Mailand im spanischen Verteidigungssystem eine Rolle zu, die es im 17. Jahrhundert schon mehrmals zu spielen hatte: die Unterstützung der Freigraf-schaft Burgund. Für die Jahre 1670 und 1673 liegen königliche Befehle (Dispacci Reali) an die Gouverneure vor, wonach sie Massnahmen zur Rettung der Freigrafschaft zu treffen hätten.32

Tatsächlich blieben entsprechende Bemühungen, die in erster Linie die Schweizer betrafen,

28 Vgl. u.a. Hugon, Alain: Rivalités européennes et hégémonie mondiale. XVIe-XVIIIe siècle. Paris 2002, S. 143. 29 Álvarez-Ossorio Alvariño, Antonio: Corte y Provincia en la Monarquía católica: La Corte de Madrid y el Estado de

Milán, 1660-1700, in: Brambilla, Elena / Muto, Giovanni (Hg.): La Lombardia spagnola. Nuovi indirizzi di ricerca. Mailand 1997, S. 283-341 (hier S. 310f.). Die steuerliche Entlastung wurde insbesondere vor dem Hintergrund der diversen Aufstände in den Provinzen zwischen 1630 und 1648 gewährt. Für die Zeit nach 1675 vgl. die detaillierte Studie desselben Autors: Álvarez-Ossorio Alvariño, Antonio: La república de las parentelas. El Estado de Milán en la monarquía de Carlos II. Mantua 2002, insb. S. 134-164.

30 Álvarez-Ossorio Alvariño, Antonio: La república de las parentelas. El Estado de Milán en la monarquía de Carlos

II. Mantua 2002, S. 309f.

31 Ribot García betont, dass die Steuerbelastung in Mailand stets tiefer gewesen war als in den übrigen spanischen

Provinzen. Dennoch war insbesondere die Unterbringung der Truppen mit hohen finanziellen Kosten verbunden, weshalb eine Truppenreduktion ebenfalls als finanzielle Entlastung angesehen werden muss. Ribot García, Luis Antonio: Las provincias italianas y la defensa de la monarquía, in: Musi, Aurelio (Hg.): Nel sistema imperiale: L’Italia spagnola. Neapel 1994, S. 67-92 (hier: S. 70f.).

32 Maffi, Davide: La cittadella in Armi. Esercito, società e finanza nella Lombardia di Carlo II, 1660-1700. Mailand

(20)

15

folglos, wie im Verlauf der Arbeit aufgezeigt werden soll. Nicht zuletzt fehlte es am Geld: Längst war Mailand auf die finanzielle Hilfe Madrids und Neapels angewiesen, aus eigener Kraft hätten die grossen Aufwendungen für die militärische Ausstattung nicht getragen werden können, erst recht nicht für die Entsendung von Unterstützungstruppen in die Freigrafschaft Burgund.33

Aussenpolitisch versuchte Mailand, mit den umliegenden Staaten gutnachbarschaftliche Beziehungen zu unterhalten. In präventiver Sorge wurde immer wieder eine Allianz gegen Frank-reich mit den gewichtigen italienischen Staaten in Betracht gezogen. Insbesondere Genua, eine seit 1528 mit Spanien verbündete Republik, und Savoyen spielten für die Sicherheit Mailands eine zentrale Rolle. Nach dem Frieden von Nimwegen (1679) versuchte der Conde de Melgar, Gou-verneur von Mailand, die Bande mit dem Reich zu stärken – eine Strategie, die in den Jahrzehn-ten zuvor vermieden worden war.34 Ohnehin hatten aber bereits viele Mailänder Patrizier die

Nä-he zum Wiener Hof als Alternative zum Dienst an der spaniscNä-hen Monarchie gesucht.35 Madrid

stand dieser Annäherung Mailands an den Wiener Hof zwiespältig gegenüber: Einerseits war das Zusammengehen mit Wien innerhalb der antifranzösischen Politik willkommen – auf dem eidge-nössischen Parkett wurde sie längst angestrengt –, andererseits wuchs dadurch die Gefahr, das Herzogtum im Hinblick auf die sich abzeichnende Spanische Erbfolge zu verlieren. Als Genua von Frankreich angegriffen wurde (1684/85), eilten in Mailand stationierte spanische Truppen zu Hilfe; im Pfälzischen Erbfolgekrieg kam Mailand insbesondere in den Auseinandersetzungen um Casale Monferrato als umstrittenem Waffenplatz Bedeutung zu.36 Im Herzogtum Mailand selbst

blieb es aber bis zur Spanischen Erbfolge weitestgehend ruhig.

Die Eidgenossenschaft des ausgehenden 17. Jahrhunderts im europäischen Kontext

Die Aussenbeziehungen waren einer jener Bereiche, in welchem die Eidgenossen die grösste Ei-nigkeit erreichten.37 Sie umfassten den Aussenhandel sowie den Abschluss und die Handhabung

33 Maffi, Davide: Il Baluardo della Corona. Guerra, esercito, finanze e società nella Lombardia seicentesca

(1630-1660). Varese 2007, S. 342-344. Siehe dazu auch die Tabellen in Maffi, Davide: La cittadella in Armi. Esercito, società e finanza nella Lombardia di Carlo II, 1660-1700. Mailand 2010, S. 230 und 236: Zwischen 1672 und 1700 war der Mailänder Staatshaushalt stets defizitär, dies, obwohl mit wenigen Ausnahmen jährlich Unterstützungsgelder aus Neapel und Madrid überwiesen wurden. Eine wichtige Rolle spielten laut Ribot García zudem die Anleihen Genove-sischer Bankiers: Ribot García, Luis Antonio: Milano, piazza d’armi della monarchia spagnola, in: Maddalena, Aldo di et al. (Hg.): „Millain the great“. Milano nelle brume del Seicento. Mailand 1989, S. 349-363 (hier S. 361).

34 Maffi, Davide: La cittadella in Armi. Esercito, società e finanza nella Lombardia di Carlo II, 1660-1700. Mailand

2010, S. 29-31. Zum Frieden von Nimwegen siehe: Köhler, Matthias: Strategie und Symbolik: Verhandeln auf dem Kongress von Nimwegen. Köln 2011.

35 Vgl. dazu etwa die Einzelfallstudie von Cremonini, Cinzia: Percorsi politici e identità sociale di una famiglia

lombarda tra Sacro Romano Impero e Monarchia Cattolica: i Crivelli di Agliate, in: Cremonini, Cinzia (Hg.): Titolati, cadetti e parvenus. Il caso lombardo tra Antico Regime e Rivoluzione Francese. Rom 1999, S. 25-75.

36 Maffi, Davide: La cittadella in Armi. Esercito, società e finanza nella Lombardia di Carlo II, 1660-1700. Mailand

2010, S. 34-44.

37 Würgler, Andreas: Die Tagsatzung der Eidgenossen. Spontane Formen politischer Repräsentation im

(21)

16

der Allianzen, womit in erster Linie die Kapitulationen und die Erlaubnis für den Durchzug von fremden Truppen gemeint sind. Gerade das ausgehende 17. Jahrhundert zeichnet sich durch eine ausgeprägte aussenpolitische Aktivität aus, welche aber primär als Reaktion auf die Schwankun-gen in den Konflikten zwischen Frankreich und Spanien respektive auf den Wechsel der Allian-zen u.a. zwischen Spanien, den Niederlanden und dem Kaiser zu verstehen sind. Insbesondere während den Kriegshandlungen an der Nord- und Westgrenze – in den Auseinandersetzungen um die Freigrafschaft Burgund oder an der Rheingrenze nördlich von Basel – hatten sich die Eidgenossen hinsichtlich eines gemeinsamen Auftritts gegenüber den umliegenden Mächten zu positionieren. Immer wieder wurden Gesandtschaften nach Paris, Madrid, Wien, Mailand und Rom geschickt, um die Interessen der 13 Orte zu wahren. Wichtigstes sicherheitspolitisches In-strument war die eidgenössische Defensionalordnung.38

Die Eidgenossenschaft war nach Marignano bekanntlich nie mehr direkt in einen militäri-schen Krieg involviert. Dennoch spielte sie in den Machtschwankungen unter den europäimilitäri-schen Staaten eine wichtige Rolle, weshalb sie sich am besten über ihre verschiedenen, bis zu einem gewissen Grad kontroversen Allianzen mit den Nachbargebieten verstehen lässt.39

Eine Mehrheit der eidgenössischen Orte – bis Anfang des 17. Jahrhunderts mit Ausnah-me Zürichs – war seit dem ausgehenden Mittelalter mit Frankreich verbündet. Der 1516 abge-schlossene Ewige Frieden, so die Bezeichnung des Bündnisses, beruhte auf älteren Vertragswer-ken und sicherte beiden Bündnispartnern Friede auf der Basis einer Defensivallianz, während er den Eidgenossen handelspolitische Privilegien und Pensionsgelder, Frankreich hingegen primär die Möglichkeit zu Truppenrekrutierungen sicherte.40 Mit der Bündniserneuerung von 1663 war

Frankreich zweifelsohne die dominierende Macht in den aussenpolitischen Angelegenheiten der Eidgenossenschaft, allerdings waren die Allianzen insbesondere zum Hause Habsburg bis 1700 als Gegengewicht keineswegs zu unterschätzen.

Das Haus Habsburg war über zwei verschiedene Kanäle mit den eidgenössischen Orten verbündet. Zum einen über die 1511 abgeschlossene Erbeinung zwischen dem Kaiser Maximilian

und bürgerliche Repräsentation im Rahmen des frühen europäischen Parlamentarismus. Tübingen 2000, S. 99-117 (hier S. 105). Neben der Aussenpolitik war es laut Würgler die Wirtschaftspolitik, in welcher sich die Eidgenossen am ehesten zu verständigen wussten.

38 Montmillon, Benoît de: Art. Defensionalordnungen, in: Historisches Lexikon der Schweiz [online, Version vom

22.3.2005].

39 Überblicksdarstellungen zu den Bündnissen und zur Aussenpolitik der alten Eidgenossenschaft finden sich etwa

in: Bonjour, Edgar: Geschichte der schweizerischen Aussenpolitik in ihren Grundzügen, in: Riklin, Alois et al. (Hg.): Handbuch der schweizerischen Aussenpolitik. Bern / Stuttgart 1975, S. 57-80; Boesch, Joseph: Epochen der schwei-zerischen Aussenpolitik, in: Riklin, Alois et al. (Hg.): Handbuch der schweischwei-zerischen Aussenpolitik. Bern / Stuttgart 1975, S. 81-120; Körner, Martin: Art. Allianzen, in: Historisches Lexikon der Schweiz [online, Version vom 19.9.2006]; Peyer, Hans Conrad: Verfassungsgeschichte der alten Schweiz. Zürich 1978, S. 75-84.

40 Zu den französisch-eidgenössischen Beziehungen siehe insbesondere Rott, Édouard: Histoire de la Représentation

Diplomatique de la France auprès des Cantons Suisses, de leurs Alliés et de leurs Confédérés (Bde I-X). Bern 1900-1935; zum Ewigen Frieden der kurze Überblick in Holenstein, André: Art. Ewiger Frieden, in: Historisches Lexikon der Schweiz [online, Version vom 7.5.2010].

(22)

17

I. und der alten Eidgenossenschaft: Diese entsprach einer Defensivallianz respektive – so die Auslegung der Schweizer, die sich im Verlauf der Jahrzehnte faktisch durchsetzte – einem Freundschaftsvertrag, der freien Handel und Verkehr vorsah. Von der Allianz respektive der zu wahrenden Neutralität betroffen waren die habsburgischen Erblande sowie die Freigrafschaft Burgund.41 Die Auslegung des für die Sicherheit relevanten, in der Erbeinung als Pflicht der

Eid-genossen gegenüber den habsburgischen Gebieten erwähnten Ausdrucks „getreues Aufsehen“ gab bis zur Eroberung der Freigrafschaft Burgund 1674 immer wieder Anlass zu Protesten von-seiten der Habsburger und entsprechend zu Rechtfertigungen und Ausflüchten der Eidgenos-sen.42 Dennoch war die Erbeinung ein Grundpfeiler der eidgenössischen Aussenbeziehungen.

Zum anderen bestand neben der Erbeinung seit 1587 das Bündnis der katholischen Orte mit dem habsburgischen Spanien-Mailand, in welchem explizit auf das Mailänder Kapitulat (zuletzt 1552 erneuert) Bezug genommen wurde; statt einer von Philipp II. angestrebten Allianz mit der gesamten Eidgenossenschaft wurde letztlich ein Bündnis mit den fünf Inneren Orten und Frei-burg abgeschlossen.43 Der Zeitpunkt war nicht zufällig gewählt: In Frankreich führten die

Religi-onswirren zu Rückständen in den Pensionszahlungen44 und 1577 respektive 1581 erneuerte der

Herzog von Savoyen sein Bündnis mit den katholischen Orten. Im Zuge der Gegenreformation hatten sich – wie überall in Europa45 – ohnehin die Fronten zu den reformierten Orten sowohl

aus spanisch-mailändischer als auch aus innereidgenössischer Perspektive weiter verhärtet, 1587 stand einem Sonderbündnis nichts mehr im Weg. Die Vertragserneuerung von 1634 führte

41 Boesch, Joseph: Epochen der schweizerischen Aussenpolitik, in: Riklin, Alois et al. (Hg.): Handbuch der

schweize-rischen Aussenpolitik. Bern / Stuttgart 1975, S. 81-120 (hier S. 91). Die Eidgenossen wachten zudem über die Neut-ralität beider Burgund, indem sie diese bis 1663 in die Allianz mit Frankreich einschreiben liessen. Die Einhaltung der Erbeinung für das burgundische Territorium, d.h. der Verzicht der Eidgenossen auf das Gebiet, war an eine jährliche Abgabe von 600 Écus vonseiten der Comtois an die Tagsatzung gebunden. Mercier, Henri: La vie mystérieuse de Dom Juan de Watteville. Son rôle pendant les deux conquêtes de la Franche-Comté (1668-74). Be-sançon 1930, S. 9.

42 Die Proteste erfolgten primär vonseiten der Spanier, da selten die Erblande, umso öfter aber die Freigrafschaft

Burgund von Frankreich bedroht oder gar erobert wurde. Die Eidgenossen traten zur Erneuerung der Erbeinung seit der Zuschlagung der burgundischen Gebiete nach der Abdankung Kaiser Karls V. an Spanien mit den spani-schen Herrschern in Verbindung. Vgl. einführend dazu etwa Bolzern, Rudolf: Art. Spanien, in: Historisches Lexikon der Schweiz [online, Version vom 3.8.2010].

43 Vgl. dazu Hanselmann, Jean-Louis: L’alliance Hispano-Suisse de 1587. Bellinzona 1971, insb. S. 156 f.; Bolzern,

Rudolf: Spanien, Mailand und die katholische Eidgenossenschaft: militärische, wirtschaftliche und politische Be-ziehungen zur Zeit des Gesandten Alfonso Casati (1594-1621). Luzern / Stuttgart 1982, insb. S. 28-30. Solothurn als weiterer katholischer Ort schloss sich der Allianz deshalb nicht an, weil es Residenzstadt der französischen Botschaft war. Appenzell Innerrhoden trat der Allianz 1597 bei. Zur von Philipp II. schon früher angestrebten Erneuerung des Mailänder Kapitulats über eine Integration in die Erbeinung siehe Windler, Christian: Les pratiques de l’entretien à l’épreuve des différences de culture politique et confessionnelle. Une mission milanaise auprès des cantons suisses en 1565, in: Andretta, Stefano et al. (Hg.): Paroles de négociateurs. L’entretien dans la pratique diplomatique de la fin du Moyen Âge à la fin du XIXe siècle. Rom 2010, S. 71-91 (hier insb. S. 73).

44 Ein Aspekt, auf welchen insbesondere Christian Windler richtigerweise hinweist: Windler, Christian: „Ohne Geld

keine Schweizer“: Pensionen und Söldnerrekrutierung auf den eidgenössischen Patronagemärkten, in: Thiessen, Hillard von / Windler, Christian (Hg.): Nähe in der Ferne. Personale Verflechtung in den Aussenbeziehungen der Frühen Neuzeit. Berlin 2005, S. 105-133 (hier S. 111).

45 Schilling, Heinz: Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559-1660. Paderborn etc.

(23)

18

gegen bis zum Auslaufen 1702 wiederholt zu Irritationen zwischen den Orten sowie zwischen denselben und den Habsburgern und Frankreich: Die (später durch die einzelnen katholischen Orte verneinten) Klauseln der Allianz, wonach die Freigrafschaft Burgund nicht mehr im Rah-men der Erbeinung („getreues Aufsehen“), sondern im RahRah-men der militärische Unterstützung explizit festhaltenden Defensivallianz mit Spanien-Mailand geschützt werden sollte, standen im direkten Widerspruch zum Ewigen Frieden mit Frankreich und bedrohten die innereidgenössi-sche Balance.46 Die Freigrafschaft Burgund wurde während der verschiedenen französischen

Er-oberungen im Verlauf des 17. Jahrhunderts von den katholischen Orten bezeichnenderweise nie offen auf der Grundlage des Mailänder Kapitulats unterstützt. Umgekehrt unterstützte Spanien-Mailand die katholischen Orte in ihren kriegerischen Auseinandersetzungen gegen die reformier-ten Orte nie mit effektiven militärischen Hilfeleistungen. Dennoch war das Sonderbündnis so-wohl für die katholischen Orte als auch für Mailand wichtiger Bestandteil der militärischen De-fensivstrategie.

Zu den die eidgenössischen Aussenbeziehungen strukturierenden Bündnissen mit Frank-reich sowie mit den Wiener und Madrider Habsburgern traten Verträge und Allianzen zwischen einzelnen Orten und weiteren europäischen Mächten: 1560 wurde ein konfessionell motiviertes Bündnis mit Herzog Emmanuel Philibert von Savoyen abgeschlossen, das eine wechselseitige militärische Hilfe im Kriegsfall vorsah.47 Von Savoyen ging von den Genfer Ereignissen der

Escalade 1602 bis zum Tod des Herzogs Karl Emmanuel II. 1675 im gesamten 17. Jahrhundert ein Bedrohungspotential aus, das die gesamteidgenössische Politik zuweilen mitprägte. So be-fürchteten die Eidgenossen insbesondere in den späten 1660er und den 1670er Jahren, dass zwi-schen Frankreich und Savoyen ein Geheimpakt zur Aufteilung der Genferseeregion im Falle ei-ner gemeinsamen Invasion bestand. Bern bat die katholischen Eidgenossen wiederholt, das be-drohte (reformierte) Genf in die gemeinsame Defensionalordnung aufzunehmen – ein Begehren, welches der savoyische Resident in der Schweiz immer wieder erfolgreich zu torpedieren wuss-te.48 Vielmehr erneuerten 1671 die katholischen Orte ihr Sonderbündnis mit Savoyen und

46 Maag, Rudolf: Die Freigrafschaft Burgund und ihre Beziehungen zu der schweizerischen Eidgenossenschaft. Vom

Tode Karls des Kühnen bis zum Frieden von Nymwegen (1477-1678). Zürich 1891, S. 71-73.

47 Becchia, Alain: Art. Savoyen, in: Historisches Lexikon der Schweiz [online, Version vom 22.2.2011]; Feller,

Richard: Das savoyische Bündnis 1577, in: Festgabe zur LX. Jahresversammlung der Allgemeinen Geschichtsfor-schenden Gesellschaft der Schweiz. Bern 1905, S. 51-96; Biel, Arnold: Die Beziehungen zwischen Savoyen und der Eidgenossenschaft zur Zeit Emanuel Philiberts (1559-1580). Basel / Stuttgart 1966. Zur wichtigen Vertragserneue-rung von 1577 siehe insb. S. 103-131. Neben den militärische Hilfeleistung betreffenden Artikeln verschaffte das Bündnis den Eidgenossen ebenfalls Privilegien in den Handelsbeziehungen und Stipendien für Studien an der Turi-ner Hochschule.

48 Vgl. etwa Rott, Édouard: Histoire de la Représentation Diplomatique de la France auprès des Cantons Suisses, de

leurs Alliés et de leurs Confédérés (Bd. VII). Bern 1921, S. 124. Zur von Bern, Zürich und Genf geschlossenen Alli-anz von 1667, deren Spitze gegen Savoyen gerichtet war, und zur Problematik der Aufnahme Genfs in die Defensio-nalordnung vgl. auch Rappard, William: Cinq siècles de sécurité collective (1291-1798). Paris / Genf 1945, insb. S. 418-422. Eine umfassende Studie zu den eidgenössisch-savoyischen Beziehungen in der Neuzeit ist bis dato ein Desiderat.

Figure

Tabelle 5: Spesenabrechnung von Alfonso Casati aus dem Jahr 1669 (eigene Übersicht)

Références

Documents relatifs

Die Schule und vor allem auch ihre Akteure, die Lehr­ kräfte, stehen zwischen zwei Kraftfeldern: Auf der einen Seite das kollektive Gedächt­ nis der Menschen, welches der Schule

30 Europäische Kommission: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für

Dies sich Darstellende aber ist hier nicht wiederum ein Einzelwesen [. . .], sondern die Gestalt-Idee: gleichsam der Plan, nach welchem dieser Einzelmensch geschaffen ist und den er

hatten solche Äußerungen, die den Tatsachen unmittelbar entsprungen waren, jedoch sicherlich die Fähigkeit, eine gewisse Volksnähe des neuen Monar- chen zu seinen

Zur Pest oder anderen Seuchen der Vergangenheit kann die historische Forschung nur das wiedergeben, was sich aus den historischen Quellen erschließen lässt, und diese Quellen

„Also, ich glaube für die Lehrer ist es viel bequemer, wenn sie uns einfach sagen können, was wir machen sollen. Selbst wenn er sagt, probiert doch dies oder das einfach

Aus der Karte wird ersichtlich, dass weder der Famili- enname Glaser (inkl. der Variante Glasner) noch der Familienname Glasmacher in Luxemburg vor- kommt – obwohl die

„Diese durch und durch fehlerhafte Geschichte wirft die Namen, die Daten und die Thatsachen bunt durcheinander“: Zu den Unstimmigkeiten und Anachronismen einer