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Wenn der Staat unsichtbare Arbeit fördert

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Academic year: 2022

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20 SozialAktuell | Oktober 2020 Fokusthema

Martin1 leistet Zivildienst in einer Kindertagesstätte. Lina wur- de zu einer Geldstrafe verurteilt und verbüsst diese durch gemeinnützige Arbeit in der Küche eines Altersheims. Luca hat eine IV-Rente und arbeitet in der Schreinerei einer ge- schützten Werkstatt. Susanne absolviert einen durch die In- validenversicherung unterstützten Arbeitsversuch in einer Versicherung. Laurent ist in einem Programm zur vorüberge- henden Beschäftigung der Arbeitslosenversicherung tätig.

Leyla bezieht Sozialhilfe und arbeitet in einer Sozialfirma. Und Ahmed reinigt Fahrzeuge des öffentlichen Verkehrs im Rah- men eines Beschäftigungsprogramms im Asylbereich.

Ein Dienstleistungsmarkt

Diese Beispiele sind erfunden. Sie stehen stellvertretend für jene ca. 130 000 Personen, die in der Schweiz im ergän- zenden Arbeitsmarkt arbeiten (siehe Abbildung rechts).2 Im Rahmen einer Studie des Schweizerischen Nationalfonds

(SNF)3 untersuchen wir deren Arbeitsbedingungen, über die bislang noch sehr wenig bekannt ist. Bei allen Unterschieden handelt es sich in all diesen Fällen um Arbeitsplätze, die durch den Staat für Personengruppen mit besonderem administra- tivem Status nachgefragt werden. Jemand muss zum Beispiel als IV-Rentner*in ausgewiesen sein, um in einer Werkstätte arbeiten zu können. Genauso muss einer Person der Status der Arbeitslosigkeit zugewiesen werden, damit sie in einem Programm zur vorübergehenden Beschäftigung arbeiten kann.

Der ergänzende Arbeitsmarkt ist ein Dienstleistungs- markt: Getauscht werden Arbeitsplätze gegen Personal. Hier dürfen Personen unter Bedingungen beschäftigt werden, die deutlich von jenen des regulären Arbeitsmarkts abweichen.

Zum Beispiel wird in den meisten Bereichen kein Lohn be- zahlt. Und wo einer bezahlt wird, etwa in Werkstätten und Sozialfirmen, liegt er fast immer unter dem branchenüblichen

Wenn der Staat unsichtbare Arbeit fördert

Etwa 130 000 Personen arbeiten im ergänzenden Arbeitsmarkt.

Auf die Arbeitsbedingungen wird noch viel zu wenig geachtet.

Text: Peter Streckeisen, Zürcher Fachhochschule (ZHAW); Spartaco Greppi, Fachhochschule Südschweiz (SUPSI);

Natalie Benelli, Morgane Kuehni und Antonin Zurbuchen, Fachhochschule Westschweiz HES-SO

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50’000 100’000 150’000

Arbeitslosenversicherung Invalidenversicherung - individuelle Massnahmen Invalidenversicherung - geschützte W

erkstätten Zivildienst Gemeinnützige Arbeit (Strafvollzug)

Beschäftigte im Ergänzenden Arbeitsmarkt (EAM) Sozialhilfe Asyl

Anzahl der im Ergänzenden Arbeitsmarkt (EAM) arbeitenden Personen. Gestreifte Symbole: eigene Schätzung.

21 SozialAktuell | Oktober 2020 Fokusthema

Niveau. Ebenso sind zahlreiche Beschäftigte des ergänzenden Arbeitsmarkts in sozialrechtlicher Hinsicht benachteiligt: So erwerben sie durch ihre Arbeit keine Leistungsansprüche bei der Arbeitslosenversicherung oder erleiden unmit- telbare Einkommenseinbussen im Falle eines krankheitsbedingten Arbeitsausfalls.4

Unsichtbare Arbeit

Soziolog*innen bezeichnen Tätigkeiten als unsichtbare Arbeit, die keine materielle, gesetz- liche und symbolische Anerkennung als Arbeit erfahren und deren Beitrag zur wirtschaftlichen Produktion verborgen bleibt. Dies trifft auf den ergänzenden Arbeitsmarkt in vielerlei Hinsicht zu. Zudem fällt auf, dass es kein öffentliches In- teresse an den Arbeitsbedingungen dieser Personen gibt: weder Gewerkschaften und Per- sonalvertretungen, die sich für ihre Rechte ein- setzen, noch griffige Vorgaben oder Kontrollen durch die staatlichen Instanzen, die die Arbeits- plätze bewilligen und je nach Bereich auch direkt finanzieren.

Teilweise geht der administrative Status mit einer starken Abwertung der Arbeitskraft einher.

Dies gilt bei den IV-Rentner*innen sowie bei je- nen Gruppen von Sozialhilfebeziehenden, denen kaum noch Chancen im regulären Arbeitsmarkt eingeräumt werden. In gewissen Bereichen des ergänzenden Arbeitsmarkts wird zudem die Handlungsfreiheit der Betroffenen stark be- schnitten: durch Zuweisungen gegen ihren Wil- len, strenge Kontrollregimes und Sanktionen.

Working Poor

Unsere Studie wirft einen kritischen Blick auf den ergänzenden Arbeitsmarkt. Natürlich muss dabei berücksichtigt werden, dass für die meis- ten dieser Arbeitstätigen – mit Ausnahme insbe-

sondere der Zivildienstleistenden – nicht feste Anstellungen und gute Löhne der realistische Vergleichsmassstab sind, sondern prekäre Jobs im Niedriglohnsektor. Dies wirft die Frage auf, an welchen Kriterien sich der Staat bei der Aus- gestaltung der Arbeitsbedingungen orientiert.

Indem er darauf verzichtet, für gute Arbeitsbe- dingungen zu sorgen, schafft er eine zusätzliche Kategorie von Working Poor, das heisst von Menschen, die trotz Arbeit arm bleiben: Zu jenen in den Niedriglohnbereichen der Privatwirt- schaft gesellen sich nun jene in Stellen, die für den Staat geschaffen werden. Die Soziale Arbeit sollte dieser Entwicklung entgegentreten und sich dafür einsetzen, dass die Betroffenen und ihr Beitrag sichtbar gemacht und ihre Rechte gestärkt werden. •

Fussnoten

1  Alle Namen in diesem Artikel sind fiktiv.

2  Genaue Angaben zu den Quellen und Schätzungen, auf denen diese Darstellung beruht: www.marche- complementaire.ch / Ergebnisse / «Statistik des Ergänzenden Arbeitsmarkts in der Schweiz».

3  SNF 100017_172860: Die Rolle des Staates bei der Segmentierung des Arbeitsmarkts: Qualitative Studie des Ergänzenden Arbeitsmarkts in den Kantonen Basel-Stadt, Tessin und Waadt.

4  Die Autor*innen haben die arbeits- und sozialrecht- lichen Grundlagen der Arbeitsbedingungen in zwei Fachartikeln beschrieben: Benelli, N., Haunreiter, K., Kuehni, M., Zurbuchen, A., Greppi, S., Streckei- sen, P.: Arbeitsbedingungen auf dem ergänzenden Arbeitsmarkt. In: Panorama, Nr. 2, 2019, S. 32–33;

sowie: Ergänzender Arbeitsmarkt: Vergütung und soziale Sicherung. In: Soziale Sicherheit CHSS, Nr. 3, 2019, S. 31–37.

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