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Thomas Geiser

A. Legislatorisches Ziel

I.1. Die Notwendigkeit, bei der Scheidung der unterschiedlichen Alters-vorsorge von Frau und Mann Rechnung zu tragen, bestand schon immer.

Auf Grund des anderen rechtlichen und gesellschaftlichen Umfelds zu Be-ginn des 20. Jahrhunderts unterschieden sich die Mittel, mit denen ein Aus-gleich geschaffen wurde, im Scheidungsrecht von 1907 wesentlich von der heutigen Regelung. Seit Mitte der sechziger Jahre fand in der Schweiz ein abrupter Anstieg der Scheidungen statt. Bis 1977 verdoppelte sich die Schei-dungshäufigkeit1, so dass damals bereits jede vierte Ehe geschieden wurde2. Heute ist die Scheidungshäufigkeit noch mehr angestiegen. 1994 folgten auf 100 Eheschliessungen bereits 37,8 Scheidungen3. Gleichzeitig nahm die Le-benserwartung zu. Der Bundesrat konnte schon 1979 in der Botschaft zum neuen Eherecht festhalten, dass eine Ehe, die durch Tod aufgelöst wird, im Durchschnitt 40 Jahre gedauert hat4. 2006 kamen 52,7 Scheidungen auf 100 Heiraten5. Auch die wirtschaftlichen Umstände haben sich grundlegend verändert. Bei einer breiten Bevölkerungsschicht, namentlich im landwirt-schaftlichen und gewerblichen Bereich, stellte anfangs dieses Jahrhunderts das ermögen die wesentliche wirtschaftliche Grundlage der Familie dar.

Heute ist nicht nur für die Arbeiterschaft die Arbeitskraft der entscheidende ökonomische Faktor, sondern auch für die übrigen Bevölkerungskreise. Die Bedeutung der orsorge für die Fälle der Arbeitsunfähigkeit, sei es wegen Invalidität oder wegen des Alters, steigt damit enorm. Weite Kreise der Be-völkerung waren nie in der Lage, individuell und privat für die Risiken des

1 Index der Scheidungshäufigkeit : Zahl der Scheidungen auf 100 im gleichen Jahr geschlos- senen Ehen.

2 Bundesamt für Justiz, Scheidung in der Schweiz, eine Dokumentation, Bern 1980, S. 14.

3 Botschaft, Ziff. 142.1 ; BBl 1996 I 18 f.

4 BBl 1979 II 1201.

Alters und der Invalidität vorzusorgen. Soll die orsorge alle Gesellschafts-schichten erfassen, muss sie auf solidarischer Grundlage von der ganzen Gesellschaft getragen werden. Das ist keine neue Erkenntnis. Neu ist nur, dass eine gesicherte orsorge als Anspruch jedes Menschen anerkannt wird6 und insofern zu einem klassischen sozialen Grundrecht geworden ist. Ent-sprechend handelt es sich um eine staatliche Aufgabe7. Den sich daraus er-gebenden Bedürfnissen hat die schweizerische Gesetzgebung mit dem seit 1948 erfolgten breiten Ausbau der Sozialversicherung Rechnung getragen8. Die wirtschaftlichen eränderungen sind auch an der Familie nicht spurlos vor-beigegangen. Wohl dürfte schon anfangs dieses Jahrhunderts in breiten Be-völkerungskreisen die Familie ihre Funktion als Produktionseinheit verloren haben. Soweit ihr überhaupt noch ökonomische Bedeutung zukommt, kann sie höchstens als Konsumeinheit wahrgenommen werden. Nur bei einem sta-tistisch unbedeutenden Teil der Bevölkerung arbeiten die Mitglieder einer Familie gemeinsam im eigenen Betrieb. Wirtschaftliche Grundlage der Fami-lie bildet heute regelmässig die ausserhäusliche Erwerbstätigkeit9. Gleichzei-tig hat die Erwerbsarbeit und damit auch die wirtschaftliche Selbständigkeit der verheirateten Frauen massiv zugenommen. Waren 1970 nur etwa 30%

der verheirateten Frauen ganz oder teilweise erwerbstätig10, sind dies 1990 immerhin schon 45,1%11. Für das Jahr 2000 kann festgestellt werden, dass fast 56% der verheirateten Frauen ganz oder teilweise einer Erwerbstätigkeit nachgehen12. 2007 betrug die Erwerbstätigenquote der Frauen zwischen 15 und 64 Jahren 71,6%. Bei den Männern beträgt diese Zahl 85,6%13. Dabei ist allerdings die teilzeitliche Erwerbstätigkeiten bei den verheirateten Frauen wesentlich verbreiteter als bei den verheirateten Männern. 2006 gingen ledig-lich 12% der erwerbstätigen Männer einer Teilzeitarbeit nach, während dies bei den Frauen 57% waren14. Dies zeigt aber auch, dass nach wie vor erheblich weniger verheiratete Frauen erwerbstätig sind als verheiratete Männer. Un-geachtet einer allfälligen Diskriminierung der Frauen im Erwerbsleben bleibt somit ein erheblicher Teil der verheirateten Frauen wirtschaftlich von ihren

5 Quelle : Bundesamt für Statistik.

6 Vgl. dazu nun auch BGE 121 I 373.

7 Rhinow / Schmid / Biaggini, S. 216 ff.

8 Zur geschichtlichen Entwicklung siehe den Überblick bei Tschudi, S. 15 ff.

9 BBl 1979 II 1199.

10 BBl 1979 II 1199.

11 Von den verheirateten Männern waren 1990 96,2% ganz oder teilweise (mind. 6 Std. pro Woche) erwerbstätig. Bei den Frauen erhöht sich nach der Scheidung der Anteil der Erwerbstätigen auf 82,8%, während er bei den Männern auf 92,8% leicht sinkt (vgl. BBl 1996 I 32).

12 Quelle : Schweizerische Arbeitskräfteerhebung des Jahres 2000.

13 Quelle : SAKE.

Revisionsbedarf beim orsorgeausgleich Ehemännern abhängig. Diese Abhängigkeit der Ehefrauen spiegelt sich in der Altersvorsorge wider. Die während der Ehe erzielten Ersparnisse dienen mit Blick auf die verlängerte Lebenserwartung breiten Bevölkerungskreisen als Altersvorsorge und nicht der Kapitalbildung für die Nachkommen. Dem wurde in der 1988 in Kraft getretenen Eherechtsrevision mit einem Ausbau der güterrechtlichen Ansprüche des überlebenden Ehegatten und des Ehe-gattenerbrechts zu Lasten der Ansprüche der Kinder Rechnung getragen15. I.2. Ob die Anwartschaften gegenüber orsorgeeinrichtungen bei Auf-lösung der Ehe nach den Grundsätzen des Güterrechts zu teilen sind oder nicht, wurde bereits bei Erlass des neuen Eherechts16 ausführlich diskutiert17. Der Einbezug des Anspruches auf zukünftige Leistungen bei der güterrecht-lichen Auseinandersetzung wurde als unbefriedigende Lösung angesehen und überdies festgestellt, dass auch im Falle der Auflösung durch Tod mit einer solchen Lösung schwere Nachteile verbunden wären. Deshalb wurde beschlossen, einen Ausgleich in dieser Frage bei der Scheidungsrechtsrevi-sion – allenfalls unter Einbezug des Sozialversicherungsrechts – zu suchen18. Die Regelung, welche die Anwartschaften gegenüber der Beruflichen or-sorge und das Stammrecht bei Ausrichtung einer entsprechenden Rente vom Güterrecht ausnimmt, wurde Gesetz.

I.3. Für die erwirklichung eines orsorgeausgleichs im Scheidungs-recht musste allerdings nicht bis zur nächsten Revision des FamilienScheidungs-rechts gewartet werden. Es bot sich im Zusammenhang mit der Neuregelung der Freizügigkeit in der Beruflichen orsorge bei Erlass des FZG die Möglichkeit, eine Teilung der orsorgeanwartschaften vorzusehen. Es war indessen von Anfang an klar, dass es sich dabei nur um eine Übergangslösung handelt, die nicht vollständig befriedigen konnte. Es war mit Blick auf das damals gel-tende Scheidungsrecht unvermeidlich, dass der Anspruch scheidungsrecht-lich bei den nachehescheidungsrecht-lichen Entschädigungs- und Unterhaltsansprüchen an-knüpfte und damit von deren spezifischen oraussetzungen abhängig war.

Immerhin ermöglichte die neue Regelung seit 1995, in vielen Fällen einen Ausgleich zu schaffen, in denen mit Blick auf die häufig knappen Mittel in einer Scheidung ohne einen Rückgriff auf die Zweite Säule gar nichts zu ver-teilen gewesen wäre.

I.4. Mit der Revision des Scheidungsrechts schuf der Gesetzgeber nun einen selbständigen, vom Güterrecht und vom Unterhaltsrecht unabhän-gigen Anspruch auf orsorgeausgleich.

15 BBl 1979 II 1223 f.

16 Gesetzesänderung von 1984.

17 Vgl. Hausheer / Geiser, S. 365 ff.

18 Protokoll Spez.Komm NR, S. 702, Votum 1103.